Kramp-Karrenbauer verzichtet auf Kanzlerkandidatur und CDU-Vorsitz

Die Regierungskrise in Thüringen hat dramatische Folgen für die
Spitze der Bundes-CDU. Die Parteichefin kündigt ihren Rückzug an. Was
bedeutet das für die Union? Und für die große Koalition?

Berlin (dpa) - Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer gibt
auf. Angesichts der Verwerfungen um die Ministerpräsidentenwahl in
Thüringen kündigte die 57-Jährige am Montag im Parteipräsidium vö
llig
überraschend an, auf eine Kanzlerkandidatur zu verzichten und in
absehbarer Zeit auch den Parteivorsitz abzugeben. Damit stürzt die
CDU nur 14 Monate nach der Wahl von Kramp-Karrenbauer an die
Parteispitze in eine tiefe Krise, die auch Auswirkungen auf die große
Koalition haben dürfte.

Kramp-Karrenbauer sagte nach Angaben aus Parteikreisen mit Blick auf
die Regierungskrise in Thüringen, es gebe «ein ungeklärtes Verhältn
is
von Teilen der CDU mit AfD und Linken». Sie sei strikt gegen eine
Zusammenarbeit mit AfD und Linker. Zudem sei offensichtlich, dass
Parteivorsitz und Kanzlerkandidatur in eine Hand gehörten. Sie werde
zum Sommer den Prozess der Kanzlerkandidatur organisieren, die Partei
weiter auf die Zukunft vorbereiten und dann den Vorsitz abgeben.

Der Kanzlerkandidat oder die Kandidatin soll nach dem Willen
Kramp-Karrenbauers auch den CDU-Vorsitz übernehmen. Für diese
Ankündigung habe sie große Unterstützung des Präsidiums erhalten,
hieß es von Teilnehmern der Sitzung. Unklar war zunächst, ob das
bedeutet, dass der eigentlich für Anfang Dezember in Stuttgart
geplante Wahlparteitag der CDU vorgezogen werden soll.

Das CDU-Präsidium reagierte nach Informationen der Deutschen
Presse-Agentur anfangs mit Schweigen auf die Rückzugsankündigung.
Zunächst habe keiner der Anwesenden seinen Hut für eine mögliche
Kandidatur in den Ring geworfen, hieß es in Parteikreisen. Der
nordrhein-westfälische Ministerpräsident und CDU-Vize Armin Laschet,
der auch als möglicher Kanzlerkandidat gehandelt wird und den größten

CDU-Landesverband führt, war nicht anwesend.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach sich dafür aus, dass
Kramp-Karrenbauer Verteidigungsministerin bleibt, wie
Regierungssprecher Steffen Seibert mitteilte. Sie unterstütze das
«aus vollem Herzen». Aus Parteikreisen verlautete, Merkel habe
Kramp-Karrenbauer in der Sitzung großen Dank ausgesprochen. Wie genau
der weitere Zeitplan aussieht, blieb zunächst offen.

Die Parteichefin war wegen ihres Krisenmanagements in die Kritik
geraten, nachdem der FDP-Politiker Thomas Kemmerich am vergangenen
Mittwoch im Thüringer Landtag zum Ministerpräsidenten gewählt worden

war - auch von der CDU und der AfD, deren Landtagsfraktion von
Partei-Rechtsaußen Björn Höcke geleitet wird.

Die Wahl löste breite Empörung aus. Kramp-Karrenbauer forderte noch
am Mittwoch eine schnelle Neuwahl. Kanzlerin Angela Merkel (CDU)
nannte Kemmerichs Wahl mit Hilfe der AfD während einer Afrika-Reise
«unverzeihlich» und verlangte, das Ergebnis müsse korrigiert werden.


Kramp-Karrenbauer reiste am Donnerstagabend nach Erfurt, konnte sich
bei der Thüringer CDU aber nicht mit der Forderung nach einer raschen
Neuwahl durchsetzen. Man einigte sich schließlich auf den Kompromiss,
erst übergangsweise einen neuen Ministerpräsidenten zu wählen und
danach eine Neuwahl anzugehen. Kemmerich ist inzwischen
zurückgetreten und nur noch geschäftsführend im Amt. 

Kramp-Karrenbauer ist seit Dezember 2018 Bundesvorsitzende der CDU.
Sie hatte sich damals auf einem Parteitag knapp gegen den früheren
Unionsfraktionschef Friedrich Merz durchgesetzt;
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn landete auf einem achtbaren
dritten Platz. Als Kanzlerkandidaten gehandelt wurde zuletzt neben
Laschet, Merz und Spahn auch CSU-Chef Markus Söder.

Söder reagierte mit Bedauern auf den angekündigten Rückzug
Kramp-Karrenbauers: «Denn wir arbeiten sehr vertrauensvoll zusammen»,

schrieb er auf Twitter. «Aber es ist jetzt notwendig, die inhaltliche
und personelle Aufstellung der CDU grundsätzlich zu klären.» Merz
ließ über seinen Sprecher mitteilen: «In so einer Situation ist
kluges Nachdenken wichtiger, als schnell zu reden.»

Spahn schrieb auf Twitter: «Ich habe großen Respekt vor dieser
unerwarteten Entscheidung.» Die Trennung von Parteiführung und
Kanzleramt sei eine schwierige Situation gewesen. Es sei
Kramp-Karrenbauers Verdienst, CDU und CSU wieder zusammengeführt zu
haben. «Der Zusammenhalt unserer Partei muss auch jetzt unsere
Leitschnur sein», forderte Spahn.

CDU, CSU und SPD hatten sich am Samstag im Koalitionsausschuss in
Berlin für die umgehende Wahl eines neuen Ministerpräsidenten und
dann eine baldige Neuwahl ausgesprochen. Dies peilen ebenfalls Linke,
SPD, Grüne in Thüringen an. Die Landes-CDU sieht keinen Ausweg in
einer überstürzten Neuwahl, die AfD findet sie generell unnötig.

Der Berliner Koalitionspartner SPD reagierte zunächst zurückhaltend.
Arbeitsminister Hubertus Heil bezeugte Kramp-Karrenbauer Respekt und
twitterte: «Wichtig ist jetzt, dass die Arbeit der Koalition durch
die innerparteilichen Fragen der CDU nicht aufhalten werden und der
Trennstrich gegenüber einer Zusammenarbeit mit Rechtsradikalen auf
allen Ebenen gilt.»

Der frühere SPD-Chef und Vizekanzler Sigmar Gabriel sagte der
«Bild»-Zeitung: «Wir erleben das Ende der zweiten großen Volkspar
tei
in Deutschland: Nach der SPD schafft es auch die CDU nicht mehr, den
Spannungsbogen innerhalb ihrer Partei zu halten.» Gleichzeitig sei
die Bundesregierung nach dem SPD-Kandidatenwettbewerb zum zweiten Mal
in kurzer Zeit paralysiert. «Ich vermute, es dauert nicht mehr
lange, dann gibt es Neuwahlen.»

Grünen-Chefin Annalena Baerbock sprach von einer «dramatischen
Situation» fürs Land. «Es gibt die Gefahr, dass ein noch größeres

Machtvakuum entsteht. Die Union muss klären, wie sie unter diesen
Bedingungen eine stabile Regierung tragen kann. Alle Parteien sind
jetzt gefragt, nicht parteistrategisch zu taktieren, sondern eine
klare Brandmauer gegen die AfD hochzuhalten», sagte sie der dpa.

Die Linke sieht die CDU nun vor einer Richtungsentscheidung:
«Rechtsoffen à la Merz oder konsequent gegen Rechtsbündnisse. Auch
die Grünen müssen sich entscheiden, ob sie für eine linke Alternative

oder ein Bündnis mit der CDU stehen», schrieb Parteichef Bernd
Riexinger auf Twitter.

Der Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion, Alexander Gauland,
erklärte, Kramp-Karrenbauer habe die CDU mit ihrem «Ausgrenzungskurs»

ins Chaos gestürzt.