Thüringer Neustart mit Hindernissen Von Theresa Münch, Simone Rothe und Jörg Blank, dpa

Sie haben sich zusammengerauft in Berlin und in Thüringen. Bald
könnte erneut gewählt werden. Doch für die Lösung der Regierungskri
se
scheint der nächste Tabubruch nötig.

Berlin/Erfurt (dpa) - Die GroKo spricht ein Machtwort, die FDP macht
den Weg frei: In Thüringen soll es schnell einen neuen
Ministerpräsidenten und eine Neuwahl geben. Erst Ramelow wählen, dann
neu wählen, darauf könnte der Plan aus den Berliner Parteizentralen
von CDU und SPD hinauslaufen. Doch ob es so einfach ist, wie man sich
in der Hauptstadt vorstellt, darf bezweifelt werden. In der CDU gibt
es zugleich noch ganz andere Fragen: Nämlich ob Parteichefin Annegret
Kramp-Karrenbauer nach ihrer Krisen-Performance die richtige
Kanzlerkandidatin sein kann.

Mit der Rücktrittserklärung des Thüringer Ministerpräsidenten Thoma
s
Kemmerich ist der Reset-Knopf gedrückt, der Neustart erzwungen. Im
Land wollte der FDP-Politiker damit den Dampf aus dem Kessel nehmen.
Zugleich gab er der großen Koalition im Bund die Möglichkeit, sich
mal wieder in einer Krise zusammenzuraufen. Vor allem die SPD hatte
Druck gemacht, die CDU müsse nun beweisen, wo sie stehe.

Ob das Spiel aufgeht, liegt jetzt aber in der Hand der Thüringer -
vor allem der CDU und der FDP. Die Linke ist bereit, ihren
gescheiterten Kandidaten Bodo Ramelow noch einmal ins Rennen um das
Ministerpräsidentenamt zu schicken - aber nur, wenn er auch sicher
und im ersten Wahlgang ohne die Stimmen der AfD gewählt werden kann.

Die wichtigste Frage ist daher: Traut sich jemand in der CDU den
Tabubruch? Denn dem von Ramelow angepeilten Bündnis von Linken, SPD
und Grünen fehlen vier Sitze für eine Mehrheit im Landtag. Können
sich CDU oder FDP überwinden und diese vier Stimmen stellen? Immerhin
hatte Ramelow schon beim ersten Versuch 44 Stimmen bekommen - und
damit mindestens zwei von CDU, FDP oder AfD. Die CDU müsse die Namen
der Abweichler auch nicht nennen, schlägt Linken-Landeschefin Susanne
Hennig-Wellsow vor. Doch: «46 Stimmen müssen drin sein.» Enthaltungen

reichen nicht.

Dahinter schwingt die Angst, die Linke könne wie zuvor die FDP auf
die AfD reinfallen. Die AfD könnte selbst für Ramelow stimmen - ohne
Hilfe von CDU oder FDP würde diesem dann der gleiche Makel anhaften
wie Kemmerich: Nur mit den Stimmen der rechtspopulistischen AfD ins
Amt gekommen zu sein. Ramelow macht deshalb ganz klar: Auf so eine
Wahl werde er sich nicht einlassen. «Ich lasse mir die Agenda des
Handelns nicht von der AfD diktieren», sagte er der «Bild»-Zeitung.


Die CDU-Fraktion hat bislang jedoch erklärt, einen Kandidaten der
Linken nicht aktiv ins Amt zu wählen. Alles andere widerspräche einem
Parteitagsbeschluss. Auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte Ramelow
nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur, dass die CDU keine
Linken unterstütze. Doch bei einigen wankt die rote Linie:
Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther rät seiner
Partei, eine Regierung der Linkspartei unter Umständen zumindest zu
tolerieren. Am Montag wollen sich Präsidium und Bundesvorstand mit
der Frage befassen, ob es ein Bekenntnis der CDU zur Wahl Ramelows
geben kann.

FDP-Bundeschef Christian Lindner sieht das für seine Partei nicht.
«Ich persönlich halte in dieser extrem empfindlichen Situation Herrn
Ramelow aber nicht für einen geeigneten Kandidaten um das Land zu
beruhigen», sagte er am Sonntag. Besser wäre, eine politisch
unabhängige Person übergangsweise an die Spitze zu wählen.

Warum bestehen CDU, CSU und SPD in Berlin überhaupt darauf, vor einer
Neuwahl noch einen Übergangs-Ministerpräsidenten zu wählen? Das ist
vor allem eine Forderung der SPD, die unbedingt vermeiden will, dass
der makelbehaftete Kemmerich nur einen Tag länger im Amt bleibt als
nötig. Laut Thüringer Verfassung muss ein Ministerpräsident die
Geschäfte bis zum Amtsantritt seines Nachfolgers fortführen.

Vor allem innerhalb der CDU ist die Lage vertrackt, der Druck auf
Kramp-Karrenbauer dürfte nach dem Kemmerich-Rücktritt und Merkels
Eingriff nur geringfügig nachgelassen haben. In der für AKK zentralen

Frage nach der nächsten Unions-Kanzlerkandidatur haben sich die
internen Zweifel in den vergangenen Tagen wieder verstärkt.

Mögliche Konkurrenten wie Ex-Unionsfraktionschef Friedrich Merz,
NRW-Ministerpräsident Armin Laschet und Gesundheitsminister Jens
Spahn werden die Performance der Parteichefin genau beobachten. Sie
hat höchstens elf Monate Zeit, das Bild gerade zu rücken - bis auf
dem CDU-Parteitag Anfang Dezember über die Kandidatur entschieden
werden soll. CSU-Chef Markus Söder dagegen kann entspannt sein: Er
wollte, dass die Koalition klare Kante im Kampf gegen die AfD zeigt.

Eines machte die Koalition am Samstag daher auch klar: Bei CDU, CSU
und SPD gilt «für alle Ebenen», dass Regierungsbildungen und
politische Mehrheiten mit den Stimmen der AfD ausgeschlossen sind.
Das ist eine Warnung auch an den Thüringer CDU-Landesverband. «Wer
mit Faschisten paktiert in diesem Land, darf keine Verantwortung
übernehmen», hatte Parteichefin Saskia Esken gesagt.

Vor der Krisensitzung in Berlin hatte die SPD einige Bedingungen an
den Koalitionspartner formuliert - danach waren alle erfüllt. Die
frisch gewählten Chefs der Sozialdemokraten können in der Koalition
langsam Duftmarken hinterlassen. Wer hätte im Dezember bei ihrer Wahl
gedacht, dass ausgerechnet die zerstrittene SPD Kramp-Karrenbauer
einmal vorwerfen kann, ihren Laden nicht im Griff zu haben?

Esken und ihr Co-Vorsitzender Norbert Walter-Borjans bemühten sich in
der Thüringen-Krise wohl auch deshalb, nicht wieder mit einem Bruch
der GroKo zu drohen. Eine Lehre aus dem Wahlkampf um den
Parteivorsitz, wo sie genau dies angedeutet hatten, dann aber nicht
wahr machen konnten. Jetzt machen sie klar: «Wir taktieren hier
nicht.» Es gehe darum, einen Dammbruch aufzuhalten. «Dafür wird die
SPD jetzt Bollwerk sein und nicht für ihre eigenen Ziele.»

Fast könnte man sagen: Die große Koalition wirkt mit den
GroKo-Kritikern Esken und Walter-Borjans plötzlich stabiler denn je.
Den Sturm Thüringen-Krise scheint sie zumindest erst einmal
überstanden zu haben - ganz anders als das Land.