Gentherapie-Verlosung für kranke Babys: grünes Licht in Deutschland Von Christiane Oelrich, dpa

Auch aus Deutschland können Familien mit kranken Babys sich an der
umstrittenen Verlosung einer teuren Gentherapie beteiligen. Für Baby
Theo komme das vorerst nicht in Frage, sagt seine Mutter.

Langen/Basel (dpa) - Bei der umstrittenen Verlosungsaktion einer
Gentherapie für todkranke Babys haben jetzt auch Kinder in
Deutschland eine Chance. Am Montag gab das zuständige
Paul-Ehrlich-Institut in Langen grünes Licht, dass Kinder in
Deutschland im Rahmen dieses Programms mit dem Mittel Zolgensma
behandelt werden können, obwohl es in Europa noch nicht zugelassen
ist. Es gebe keine Gründe, dem Programm zu widersprechen, teilte das
Institut mit. Die Verlosung der ersten Dosis begann am Montag.

Der Schweizer Pharmakonzern Novartis stellt die Gentherapie Zolgensma
in diesem Jahr für insgesamt 100 Säuglinge und Kleinkinder gratis in
Ländern zur Verfügung, wo es noch keine Zulassung gibt. Die Therapie
ist für Kinder unter zwei Jahren, die an spinaler Muskelatrophie
(SMA) leiden. Die Erbkrankheit löst Muskelschwund aus und kann in
schweren Fällen unbehandelt zum Tod führen. Es handelt sich um das
teuerste Medikament der Welt, mit rund zwei Millionen Euro für eine
einmalige Dosis, die Kindern mit SMA helfen soll.

Für Margarete Ubber aus dem Raum Stuttgart kommt das vorläufig nicht
in Frage. Sie hat zwei betroffene Kinder, ihren Sohn aber nicht für
die Verlosung angemeldet. «So sollte man nicht über kranke Kinder
entscheiden», sagt sie der Deutschen Presse-Agentur. «Das sollten
Ärzte machen, nicht Willkür.» Es störe sie, dass Zolgensma in dem
Wirbel um die Verlosungsaktion oft als heilendes Wundermittel
angepriesen werde. «Für uns ist Spinraza ein Wundermittel», sagt
Ubber. Spinraza ist in Deutschland das einzige bislang zugelassene
SMA-Medikament. Für ihre Kinder sei es ein Lebensretter.

Ubbers Tochter Alexa ist fast drei. Sie sitze, könne mit
Unterstützung stehen und sei meist ein fröhliches Kind. «Ohne
Medikamente wäre sie nicht mehr am Leben», sagt die Mutter. Die
Kleine war schon nach der Geburt praktisch bewegungsunfähig. Sie wird
seit ihrer zehnten Woche mit dem seit 2017 zugelassenen Spinraza
behandelt. «Sie macht damit Riesenfortschritte», sagt Ubber.

Als sie mit ihrem inzwischen zehn Monate alten Sohn Theo schwanger
war, wurde ein Gentest auf SMA schon im Mutterleib gemacht. Wie sich
herausstellte, hatte auch er jenen Gendefekt, der SMA auslöst. Er
bekam seine erste Injektion schon mit dreieinhalb Wochen. «Er
entwickelt sich völlig gesund», sagt Ubber. Entscheidend sei, die
Krankheit zu diagnostizieren, bevor Kinder die ersten Symptome
hätten. Deshalb verlangt Ubber, SMA in die Routinetests von
Neugeborenen aufzunehmen, um betroffenen Kindern wie ihrem Sohn Theo
helfen zu können, bevor die ersten Schäden da sind.

In Deutschland ist nach Angaben des Paul-Ehrlich-Instituts eines von
10 000 Kindern von SMA betroffen. Die besonders schwere Form haben
nach Schätzungen etwa 50 Kinder. Bei manchen hat Spinraza nicht den
gewünschten Erfolg, wie bei Marina Mantels Sohn Michael. Ihr Sohn
bekam wie zwei weitere Kinder 2019 über eine Härtefallregelung
Zolgensma. Bei Mantels kam die Krankenkasse dafür auf. Ihr Sohn mache
Fortschritte, sagt sie. Zolgensma ist seit Mai vergangenen Jahres in
den USA zugelassen. Eine einmalige Injektion soll den Muskelschwund
bremsen.

Novartis sagt, es könnten über die erwarteten Bestellungen von
Zolgensma hinaus in diesem Jahr nur 100 Dosen zusätzlich hergestellt
werden. Das Verfahren sei aufwendig. Bislang gebe es nur ein Werk im
US-Bundesstaat Illinois, zwei weitere US-Werke seien im Bau. Das
Unternehmen habe sich in Absprache mit Ethikern für die Vergabe nach
dem Zufallsprinzip als fairste Lösung entschieden. Novartis will über
die Kinder, die bei der Verlosung gewinnen, keinerlei Angaben machen,
auch nicht darüber, wie viele Familien sich beworben haben.

Wie Ubber betrachten viele die Verlosungsaktion skeptisch. Die
Therapie solle nach medizinischen Kriterien für jene Kinder zur
Verfügung stehen, die sie am nötigsten brauchen, sagt etwa der
Bundesgeschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Muskelkranke
(DGM), Joachim Sproß. Der Medizinethiker Norbert Paul von der
Universität Mainz sagt, der Empfängerkreis hätte durch objektive
klare Kriterien bestimmt werden sollen. Ihm komme die Verlosung wie
eine verdeckte Marketingkampagne vor, mit der Novartis einen Fuß im
Markt haben und Druck machen wolle.