Coronavirus 2019-nCoV: Was man darüber weiß - und was nicht Von Walter Willems, dpa

Seit Wochen hält der Erreger einer neuen Lungenkrankheit die Welt in
Atem. Die drastischen Maßnahmen in China wecken bei vielen Menschen
Ängste. Langsam klären Forscher, wie ansteckend das neue Coronavirus
ist - und wie gefährlich.

Berlin/Hamburg (dpa) - Das neue Coronavirus breitet sich mit einer
enormen Dynamik aus - trotz der Gegenmaßnahmen der chinesischen
Behörden. Weltweit versuchen Forscher, aus der noch jungen
Entwicklung auf möglichst viele Eigenschaften des Erregers zu
schließen. Was man weiß - und was nicht:

- CORONAVIREN: Der Erreger 2019-nCoV zählt zu den Coronaviren - so
benannt, weil sie von zackenartigen Strukturen umgeben sind, die
einer Krone ähneln. Sieben Vertreter dieser Gruppe verursachen beim
Menschen Atemwegserkrankungen. Von dreien davon ist bekannt, dass sie
mitunter schwere Symptome auslösen: Beim ebenfalls aus China
stammenden Sars-Virus (Schweres Akutes Atemwegssyndrom) wurden
2002/2003 rund 8000 Fälle bekannt, etwa 800 Menschen starben. 2012
tauchte in Vorderasien das Mers-Virus (Middle East Respiratory
Syndrome) auf. Es ist weniger ansteckend, aber aggressiver: Von rund
2500 Infizierten bis November 2019 starben knapp 860 - etwa jeder
dritte. 2019-nCoV ist sehr eng mit Sars verwandt.

- INFEKTIOSITÄT: Wie ansteckend das neue Virus ist, lässt sich bisher
nur schwer beurteilen. Chinesische Behörden gehen davon aus, dass ein
Infizierter durchschnittlich 1,4 bis 2,5 Menschen ansteckt - das wäre
ähnlich wie bei Sars. «Solche Zahlen sind extrem unzuverlässig», sa
gt
der Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité. Demnach
hängt die Übertragungsrate von sehr vielen Faktoren ab - etwa ob
Menschen sozial aktiv sind oder eher zuhause bleiben. Genau darauf
zielen nach Ansicht Drostens die Maßnahmen in China ab. «Ich denke,
diese Maßnahmen bringen etwas.» Positiv ist, dass Menschen meist erst
mit der Symptomatik infektiös werden - im Gegensatz zur Grippe, bei
der Menschen schon ansteckend sind, bevor sie erkranken.

- AGGRESSIVITÄT: Das neue Coronavirus scheint weniger aggressiv zu
sein als Sars und Mers. Bis Dienstagmorgen starben mehr als 100 von
rund 4500 Infizierten - das entspräche einer Sterberate von etwa 2
Prozent. Allerdings dürfte diese Zahl täuschen, denn gerade am Anfang
eines Ausbruchs werden eher die schweren Fälle bekannt. Eine
Mortalität um drei Prozent wäre nach Ansicht Drostens sehr viel. Der
Experte geht davon aus, dass auch die für Sars gewöhnlich angegebenen
zehn Prozent ein viel zu hoher Wert sind. «Vermutlich gab es damals
viel mehr als die bekannten 8000 Sars-Fälle», erläutert er.

- SYMPTOME: Die Inkubationszeit - der Zeitraum zwischen Infektion und
Beginn von Symptomen - beträgt 2 bis 14 Tage. Die Lungenerkrankung
äußert sich durch Fieber, trockenen Husten, Abgeschlagenheit und
Atemnot. Weil das Virus die unteren Atemwege infiziert, haben
Betroffene keinen Schnupfen. Letztlich ähneln die Symptome denen
einer Sars-Infektion. Kein Wunder, denn das neue Virus dockt am
gleichen Rezeptor an. Der Test auf das Virus basiert meist auf der
Analyse von Sputum (Auswurf) und dauert etwa zwei Stunden.

- THERAPIE: Eine spezielle Therapie für die Lungenerkrankung gibt es
nicht. Schwer erkrankte Patienten werden symptomatisch behandelt: mit
fiebersenkenden Mitteln, der Therapie etwaiger bakterieller
Zusatzinfektionen und mitunter mechanischer Beatmung.

- IMPFUNG: Eine Impfung wäre das beste Mittel, die Epidemie
einzudämmen. Laut Jonas Schmidt-Chanasit vom Bernhard-Nocht-Institut
für Tropenmedizin werden derzeit Impfstoff-Kandidaten gegen Mers am
Menschen getestet. Sie seien - erfolgreiche Resultate vorausgesetzt -
frühestens in einigen Monaten verfügbar. «Darauf ließe sich dann
aufbauen», sagt Schmidt-Chanasit.

- RESERVOIRE: Die Reservoire verschiedener Coronaviren liegen im
Tierreich. Bei Mers sind Kamele der Ursprung, bei Sars und dem neuen
Erreger liegen die Reservoire vermutlich bei Fledermäusen. Auf den
Menschen sprang der Sars-Erreger vermutlich von Schleichkatzen über,
die auf chinesischen Märkten angeboten werden. Auch 2019-nCoV geht
vermutlich von einem Tiermarkt in China aus. Von welcher Tierart das
Virus übersprang, ist derzeit nicht bekannt.

- SCHUTZ: Zum Schutz vor diesem wie auch anderen Viren empfehlen
Experten gewöhnliche Hygienemaßnahmen: regelmäßiges Händewaschen,

Desinfektionsmittel und Abstand zu Erkrankten. Den Nutzen von
normalen Atemmasken - wie derzeit in China überall auf den Straßen zu
sehen - schätzen Schmidt-Chanasit und Drosten als eher gering ein.

- PROGNOSEN: Manche Experten rechnen mit einem langen Ausbruch. «Wir
sollten das als Marathon betrachten und nicht als Sprint», sagte
Chris Whitty, der die britische Regierung in Gesundheitsfragen berät.
«Das Ausmaß und die Auswirkungen dieses Ausbruchs sind derzeit
unklar, weil sich die Lage rapide entwickelt», schrieb ein Team um
Anthony Fauci von den US-Nationalen Gesundheitsinstituten (NIH) im
Fachblatt «JAMA». Der Virologe Drosten hingegen kann sich vorstellen,
dass die Epidemie ähnlich schnell endet wie der Sars-Ausbruch, der
schnell abflaute und 2004 für beendet erklärt wurde. «Ich bin
geneigt, optimistisch zu denken, weil das eine Sars-ähnliche
Krankheit ist.» Dazu passe, dass es außerhalb Chinas bislang kaum zu
einer Weiterverbreitung kam. «Das ist extrem ermutigend.» Sars
kursiert zwar weiter - aber nur im Tierreich.