Selbstständig und angestellt: Hunderttausende verbinden beides

Firmen lagern Bereiche aus, Kunden vertrauen auf Plattformdienste für
Lieferungen oder Reinigung: Auch deshalb ist die Zahl der
Selbstständigen in Deutschland stark gestiegen. Vielen reicht ein Job
allein nicht aus.

Berlin (dpa) - Hunderttausende Menschen in Deutschland gehen einem
normalen Job nach und sind gleichzeitig noch selbstständig: So hatten
zuletzt rund 764 000 Erwerbstätige neben ihrer Selbstständigkeit noch
eine abhängige Beschäftigung. Seit 1994 hat sich die Zahl fast
verdreifacht. Damals waren es noch 262 000. Das zeigt die Antwort der
Bundesregierung auf eine Linken-Anfrage, die der Deutschen
Presse-Agentur in Berlin vorliegt. Die jüngste Zahl stammt aus dem
Jahr 2018.

Bis 2017 war die Zahl der Erwerbstätigen, die selbstständig und
zugleich abhängig beschäftigt waren, mit Schwankungen auf 794 000
gestiegen. Am häufigsten sind Jüngere «hybrid selbstständig»: Run
d 30
Prozent der Selbstständigen im Alter von 15 bis 34 gingen auch einer
abhängigen Beschäftigung nach. Insgesamt waren es 16,4 Prozent, 1994
erst 7,4 Prozent der Selbstständigen.

2,23 Millionen Menschen waren 2018 solo-selbstständig, arbeiteten
also ohne Mitarbeiter. Die Zahl der Solo-Selbstständigen stieg von
1,45 Millionen 1994 auf 2,45 Millionen 2012. Dann ging die Zahl mit
Schwankungen wieder zurück.

Dass die Zahl der Solo-Selbstständigen bis 2012 stark gestiegen ist,
geht laut der Antwort des Bundesarbeitsministeriums unter anderem auf
«die verstärkte Tendenz zu Auslagerungen bestimmter Funktionen an
Freiberuflerinnen und Freiberufler» zurück. Der seitherige Rückgang
sei auf die günstige Konjunktur zurückzuführen.

Laut Deutschem Institut für Wirtschaftsforschung ist ein Grund für
die zahlreicheren Solo-Selbstständigen die Förderung von «Ich-AGs»

durch die Bundesagentur für Arbeit ab dem Jahr 2003. Viele
Solo-Selbstständige kämen über Einkünfte im Niedriglohnsektor nicht

hinaus.

Die Zahl der Selbstständigen insgesamt stieg von 3,5 Millionen im
Jahr 1994 auf rund 4,7 Millionen im Jahr 2018. 2012 gab es mit 4,9
Millionen einen Höchststand an Selbstständigen. Seit 2012 sind die
Zahlen wieder rückläufig.

Die Expertin der Linken-Fraktion für den Wandel in der Arbeitswelt,
Jessica Tatti, die die Anfrage gestellt hatte, forderte mehr sozialen
Schutz für Selbstständige. «Die unsägliche Masche von Unternehmen,

Arbeit aus Kostengründen aus dem Betrieb auszulagern, ist seit Jahren
zu beobachten», kritisierte sie. «Oft leisten dann
Solo-Selbstständige die gleiche Arbeit wie zuvor abhängig
Beschäftigte, mit dem gravierenden Unterschied, dass sie keine vom
Arbeitgeber mitfinanzierte Renten- und Krankenversicherung haben,
keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, keine gesetzlichen
Urlaubsansprüche, keine Mitbestimmung und keinen Mindestlohn.»

Vor allem bei Onlineplattformen sei Selbstständigkeit oft
unfreiwillig und prekär, sagte Tatti. Gemeint sind Internetdienste
etwa für Lieferungen, Transport oder Reinigung. «Für die Menschen
sind das meist Phasen ohne Absicherung fürs Alter.» Ein großer Teil
der Solo-Selbstständigen verdiene weniger als den Mindestlohn, die
wenigsten seien überhaupt über eine Altersvorsorge abgesichert.
Deshalb müssten auch Selbstständige in der Rentenversicherung
abgesichert sein. Entsprechende Pläne hatte auch Arbeitsminister
Hubertus Heil (SPD) angekündigt.