Lungenkrankheit: Millionenstädte abgeschottet - Lage doch schlimmer?

China reagiert vehement auf die neue Lungenkrankheit. Besonders
betroffene Städte sind abgeschottet. Militär ist im Einsatz.
Veranstaltungen werden abgesagt. Doch es gibt auch Zweifel: Ist das
Ausmaß schon weit schlimmer als offiziell mitgeteilt?

Peking (dpa) - Millionenstädte abgeschottet, das Militär im Einsatz,
keine Pauschalreisen mehr ins In- und Ausland: China reagiert mit
immer neuen Maßnahmen auf die neue Lungenkrankheit. Doch es werden
auch Zweifel laut, ob die offiziellen Angaben das wahre Ausmaß der
Infektionswelle im Land wiedergeben.

In den USA wurde ein zweiter Fall der Erkrankung nachgewiesen. Es
handele sich um eine Frau in Chicago, die aus der am stärksten
betroffenen chinesischen Stadt Wuhan zurückgekehrt sei, teilte die
US-Gesundheitsbehörde CDC am Freitag mit. Bereits am Dienstag war das
Coronavirus bei einem Mann nachgewiesen worden, der ebenfalls aus
Wuhan in die Westküstenmetropole Seattle zurückgekehrt war.

Die USA kündigten am Freitag an, das Personal ihres Generalkonsulats
und deren Familien aus Wuhan abzuziehen. Die Anordnung erfolge wegen
der Ausbreitung des neuen Coronavirus, der logistischen Probleme
durch das beschränkte Transportwesen und der «überwältigten
Krankenhäuser» der Stadt, sagte ein Botschaftssprecher.

Ärzte in Wuhan äußerten, dass sich ihrer Meinung nach schon
wesentlich mehr Menschen angesteckt haben als offiziell zugegeben.
Auch sei weitaus mehr Krankenhauspersonal betroffen als die offiziell
bekannten 15 Mitarbeiter. «Es lassen sich infizierte
Krankenhausmitarbeiter in fast allen größeren Krankenhäusern in Wuhan

finden», sagte ein Arzt der Hongkonger Zeitung «South China Morning
Post».

Staatsmedien berichteten, in der 11-Millionen-Metropole werde ein
neues Krankenhaus mit 1000 Betten errichtet - in nur sechs Tagen. Die
Gebäude werden demnach aus vorproduzierten Bauteilen zusammengesetzt.
Das Krankenhaus soll ab dem 3. Februar die ersten Patienten
aufnehmen. In Wuhan gibt es besonders viele Infektionen, weil das
Virus dort - vermutlich auf einem Markt - von einer Wildtierart auf
den Menschen übersprang. Die Krankheit hat sich inzwischen im ganzen
Land verbreitet.

Den chinesischen Behörden zufolge liegt die Zahl nachgewiesener
Infektionen im Land derzeit bei rund 900. Mehr als 25 der Patienten
sind gestorben, zumeist ältere Menschen mit Vorerkrankungen. Da
Dutzende sehr schwer erkrankte Menschen in den Kliniken liegen, sind
weitere Todesfälle zu erwarten. Nachweise wurden auch aus anderen
Ländern wie Japan, Südkorea und Thailand gemeldet. In Europa ist
bislang keine Infektion mit dem neuartigen Virus bekannt.

Direktflüge aus Wuhan zu europäischen Städten gibt es nicht mehr,
eine weitere Maßnahme dürfte für noch weniger chinesische Gäste
sorgen: China untersagte den Verkauf von Pauschalreisen ins Ausland
und im Land selbst. Wie die Finanznachrichtenagentur Bloomberg
berichtete, wurden Reisebüros und Veranstalter angewiesen, den
Verkauf solcher Pauschalurlaube von Freitag an zu stoppen. Der
Schritt ist ein schwerer Schlag für die Tourismusindustrie:
Chinesische Touristen haben allein 2018 mehr als 110 Milliarden Euro
im Ausland ausgegeben.

In China war am Freitag bereits in mehr als zehn Städten der schwer
betroffenen Provinz Hubei mit insgesamt mehr als 40 Millionen
Einwohnern die Bewegungsfreiheit der Menschen stark eingeschränkt.
Nah- und Fernverkehr wurden gestoppt, Ausfallstraßen gesperrt. Zudem
sollen in der Öffentlichkeit Schutzmasken getragen werden. Etliche
Besucher konnten die Stadt vorerst nicht mehr verlassen. Zumindest in
Wuhan ist inzwischen auch das Militär im Einsatz - es leite die
«gemeinsame Kontrollarbeit», berichtete das Staatsfernsehen. Auch
werde medizinisches Personal des Militärs mobilisiert. Details etwa
zur Zahl der eingesetzten Soldaten wurden nicht genannt.

Gesperrt wurden am Freitag auch Teile der Großen Mauer. Betroffen ist
Staatsmedien zufolge der bei Touristen beliebte Mauerabschnitt
Badaling im Norden von Peking. Zuvor hatten die Behörden bereits
angekündigt, dass in Peking Großveranstaltungen auf unbestimmte Zeit
gestrichen werden, darunter die traditionellen Tempeljahrmärkte, die
als zentraler Teil der chinesischen Neujahrsfeiern gelten. Auch die
Verbotene Stadt, das bekannte Palastmuseum in der Hauptstadt, gab
bekannt, ab Samstag für unbestimmte Zeit zu schließen. Auch
Disneyland in Shanghai machte zu.

Die auf ein neuartiges Coronavirus zurückgehende Infektionswelle
überschattet zudem das chinesische Neujahrsfest, das in der Nacht zum
Samstag begangen werden sollte. Zu dem zweiwöchigen Fest sind
Hunderte Millionen Chinesen in ihre Heimatorte gereist - was die
Sorge vor einer Ausbreitung des Virus noch vergrößerte.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hatte bei zwei Sitzungen am
Mittwoch und Donnerstag keinen Anlass gesehen, eine gesundheitliche
Notlage von internationaler Tragweite auszurufen. Sie empfiehlt auch
keine Reise- oder Handelsbeschränkungen. WHO-Chef Tedros Adhanom
Ghebreyesus sagte am Donnerstagabend, der Ausbruch werde aber extrem
ernst genommen. «Es ist noch keine Notlage von internationaler
Tragweite, aber das kann es noch werden.» 

Das Auswärtige Amt in Berlin riet dazu, nicht notwendige Reisen in
die betroffenen Gebiete zu verschieben. Das Risiko für deutsche
Reisende in Wuhan werde als «moderat» eingeschätzt.