Klinikärzte in Niedersachsen fühlen sich oft überlastet

Wohl jeder möchte seinem Arzt im Ernstfall vertrauen können - aber
wenn dieser übermüdet und gestresst ist? Die Arbeitszeiten in
Kliniken machen Medizinern zu schaffen. Vom Marburger Bund kommt eine
klare Ansage.

Hannover (dpa/lni) - Viele Klinikärzte in Niedersachsen arbeiten laut
einer Umfrage des Marburger Bundes am Limit. Arbeitsbelastung,
Zeitdruck und bürokratische Aufgaben machen Medizinern zu schaffen.
45 Prozent der Befragten erklärten, häufig überlastet zu sein, wie
die am Freitag vorgestellte Studie der Ärztegewerkschaft ergab.
Immerhin neun Prozent der Befragten gehen demnach sogar ständig über
die eigenen Grenzen hinaus. «Wir brauchen mehr Ärzte, Kliniken sind
das Rückgrat der medizinischen Versorgung», betonte der Vorsitzende
des Marburger Bundes Niedersachsen, Hans Martin Wollenberg.

Mehr als jeder dritte Mediziner (35 Prozent) arbeitet der Umfrage
zufolge jede Woche zwischen 9 und 29 Stunden mehr, mehr als 70
Prozent sehen ihre eigene Gesundheit beeinträchtigt - etwa wegen
Schlafstörungen. 7 von 10 Ärzten seien mit den Arbeitsbedingungen
nicht zufrieden - und auch 84 Prozent der Chefärzte.

«Wir sind nicht bereit, uns weiter verheizen zu lassen», machte der
zweite Vorsitzende des Marburger Bundes in Niedersachsen, Andreas
Hammerschmidt, klar. An den Unikliniken fielen im Schnitt 7,8
Überstunden je Arzt und Woche an. Jede dritte Klinik im Land erfasse
nicht einmal die Arbeitszeiten.

An der Studie beteiligten sich im vergangenen September und Oktober
mehr als 1200 angestellte Ärzte in Niedersachsen. Bundesweite
Ergebnisse waren am Vortag vorgestellt worden. Demnach gab knapp die
Hälfte der Befragten (49 Prozent) an, häufig überlastet zu sein,
jeder Zehnte sogar ständig. Um die Arbeitsbedingungen geht es auch in
den laufenden Tarifgesprächen mit der Tarifgemeinschaft deutscher
Länder für Ärzte in Universitätskliniken. Zu einer bundesweiten
Kundgebung und einem ganztägigen Warnstreik am 4. Februar würden 2000
bis 3000 Ärzte aus ganz Deutschland erwartet.

«Wir brauchen dringend bessere Arbeitsbedingungen», sagte
Hammerschmidt. Landesweit fehlten rund 700 Krankenhausärzte - nicht
nur Landärzte, kritisierte Wollenberg. Eine Landarztquote sei eine
Maßnahme, die «an einem Ende des Tuchs zieht. Die Lücke wird dann
woanders größer». CDU und SPD in Niedersachsen verständigten sich a
m
Freitag im Grundsatz auf eine Landarztquote zur Verbesserung der
Versorgung auf dem Land.

Meta Janssen-Kucz, gesundheitspolitische Sprecherin der grünen
Landtagsfraktion, betonte dagegen, die Rahmenbedingungen in
Medizinstudium und Arbeitsalltag der Ärztinnen und Ärzte müssten
geändert werden: Die Studie des Marburger Bundes «spricht eine
deutliche Sprache».

Der Umfrage zufolge sind bei rund 60 Prozent der Befragten mindestens
zwei Stellen in den einzelnen Abteilungen nicht besetzt, bei fast 20
Prozent seien vier und mehr Stellen offen. Niedersachsen will zwar
bis zu 200 neue Medizinstudienplätze schaffen. Aber: «Wir denken,
dass das die unterste Grenze ist», betonte Wollenberg.

Ein großer Zeitfresser sei die Bürokratie. Laut Umfrage sind 58
Prozent der Ärzte nach eigenem Bekunden täglich drei Stunden oder
auch deutlich länger mit Verwaltungsaufgaben beschäftigt, die über
die rein ärztliche Tätigkeit hinausgehen - etwa mit der
Dokumentation. Fünf Stunden und mehr pro Tag koste dies mehr als
jeden Zehnten. Drei von vier Ärzten wünschten sich mehr Unterstützung

von der Verwaltung - «das erfolgt aber de facto nicht», sagte
Hammerschmidt. Der Investitionsstau an Niedersachsens Kliniken
betrage bis zu eine Milliarde Euro: «Das ist kein Zustand.»