) Pillen werden knapp - Ärzte fordern internationale Lösung Von Roland Siegloff, dpa

Oft kommen Pillen und Impfstoffe aus Ländern wie China und Indien -
wenn sie überhaupt kommen. Lieferengpässe machen Ärzten und
Apothekern zunehmend Sorgen. Und manche Patienten werden schon
unruhig, wenn sich dann die Farbe ihrer Pille ändert.

Brüssel (dpa) - Immer häufiger werden wichtige Arzneimittel knapp,
sind nur schwer oder gar nicht zu bekommen. Die Engpässe bei der
Medikamentenbeschaffung hätten sich in den vergangenen zehn Jahren
verschärft - erst in den USA und zunehmend auch in Europa, sagte
Wolf-Dieter Ludwig von der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) am
Donnerstag in Brüssel. Das verursache psychischen Stress bei den
Patienten und führe zu Fehlern in der Medikation sowie deutlich
höheren Kosten für alternative Arzneien.

Ärzte fordern deshalb internationale Lösungen. Der stockende
Nachschub bei lebenswichtigen Medikamenten sei kein nationales oder
europäisches, sondern ein weltweites Problem, sagte Frank Ulrich
Montgomery von der Europäischen Ärztevereinigung. Europa müsse die
Führung bei der Suche nach Lösungen übernehmen.

«Es betrifft uns in unserer täglichen Arbeit», erklärte Stephan
Hofmeister vom Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung (KBV), die
zusammen mit der Bundesärztekammer zu der Diskussion in Brüssel
eingeladen hatte. Ärzte müssten ihren Patienten erklären, warum sie
die Medikation veränderten: «Das kostet Zeit, die in unserer Arbeit
sehr wertvoll ist.» Mehrere Teilnehmer der Runde betonten, die
Engpässe untergrüben das Vertrauen der Patienten in die Behandlung.

Schon wenn sich die Farbe der Pille ändere, sei das für manche
Patienten nur schwer zu akzeptieren, sagte Direktor Andrzej Rys von
der Generaldirektion Gesundheit der EU-Kommission. Auch Rys
verlangte: «Wir brauchen globale Lösungen für ein globales Problem.
»

Aus Sicht der Fachleute sind komplexe Lieferketten für einen Teil der
Schwierigkeiten verantwortlich. Diogo Piedade vom
Generika-Herstellerverband Medicines for Europe sprach von einer
einseitigen Fixierung auf den Preis, die Folgen habe: «Die Hersteller
ziehen sich von verschiedenen Märkten zurück.» Das wirkt sich auf das

Angebot der Apotheken aus, wenn die Generika-Hersteller 70 Prozent
der verschriebenen Medikamente liefern, wie Piedade sagte. Seine
Forderung: «Nicht nur der Preis sollte eine Rolle spielen.»

Dem hielt die geschäftsführende Direktorin des Internationalen
Dachverbands der Krankenkassen, Sibylle Reichert, entgegen, dass die
Preise für Medikamente in den vergangenen Jahrzehnten stetig
gestiegen seien - «vor allem für neue Therapien». Arzneimittel
sollten jedoch für jeden Patienten erreichbar und bezahlbar sein. Der
EMA-Experte Ludwig verwies darauf, dass von den Engpässen oft ganz
grundlegende, bewährte und keinesfalls teure Krebsmedikamente
betroffen seien. Ähnliches gelte für Antibiotika, sagte der
Europaabgeordnete Peter Liese (CDU), der von einem «wirklich ernsten
Problem» sprach.

Auch wegen des Kostendrucks lassen viele Pharmahersteller ihre
Pillen, Impfstoffe und anderen Arzneien in Fernost herstellen. Die EU
diskutiere deshalb mit China und Indien über eine verlässliche
Versorgung mit Medikamenten in hoher Qualität, sagte der
Kommissionsfachmann Rys. Eine Option sei auch, die Produktion nach
Europa zurückzuholen. Da stelle sich jedoch die Frage, wie man die
Industrie zu diesem Schritt bewegen könne.

«Bringt die pharmazeutische Produktion zurück nach Europa», forderte

auch Präsident Klaus Reinhardt von der Bundesärztekammer. Dann wären

nicht nur die Lieferwege kürzer. Eine europäische Autarkie bei der
Versorgung sei jedoch kein Allheilmittel, meinte der Ärztevertreter
Montgomery. Fiele dann - etwa nach einem Fabrikbrand - die Produktion
eines Impfstoffs aus, hätte das monatelange Folgen. Nötig seien
deshalb Abkommen mit produzierenden Ländern.

Unterdessen scheint Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) an
europäischen Ansätzen zu arbeiten. Spahn kündigte im November an, das

Thema in der deutschen EU-Ratspräsidentschaft in der zweiten Hälfte
2020 anzugehen. Ziel sei, das europäische Vergaberecht zu
überarbeiten. Es solle bei Zuschlägen nicht nur nach dem Preis gehen,
sondern auch danach, wo Produktionsstandorte seien.