Arzt im Klinikalltag: «Die Situation ist prekär» Von Kathrin Drinkuth und Philipp von Ditfurth , dpa

Viele Patienten, lange Schichten, erschöpfte Ärzte: Aus Sicht des
Marburger Bundes sind die Arbeitsbedingungen in den Krankenhäusern
alles andere als gut. Wie sieht der Alltag eines Klinikarztes aus?

Stuttgart/Berlin (dpa) - In manchen Wochen kommt Johannes Wetzel noch
nicht einmal mit der gesetzlichen Höchstarbeitszeit von 48 Stunden
hin. Wenn man das Pensum in der Klinik erfüllen wolle, müsse man nach
der Schicht oftmals länger bleiben, sagt der Mediziner, der seinen
richtigen Namen und auch seinen Arbeitsplatz in Baden-Württemberg
lieber nicht nennen möchte. Teils bauten Dienstpläne sogar schon auf
Überstunden auf. «Die Situation ist über alle Berufsgruppen prekär,

muss man sagen. Wir haben viele freie Stellen, die nicht nachbesetzt
werden können. Das führt zu einer sehr angespannten Situation.»

Alarm-Signale sendet auch der Marburger Bund. In einer neuen Umfrage
für die Ärztegewerkschaft gaben fast 60 Prozent der Klinikärzte an,
oft oder sogar ständig überlastet zu sein. Und ebenfalls 60 Prozent
sagten, drei Stunden am Tag oder noch mehr mit Verwaltungsaufgaben zu
tun zu haben. «Es ist schlichtweg ein Skandal, wie viel Arbeitskraft
und Arbeitszeit mit Datenerfassung und Dokumentation vergeudet wird»,
sagt Verbandschefin Susanne Johna. «Bürokratie gefährdet die
Versorgung», warnt auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft. Ziel
müsse sein, den Aufwand dafür um die Hälfte herunterzubekommen.

Gleichzeitig sei der ökonomische Druck in Krankenhäusern sehr groß,
erläutert Klinikarzt Wetzel, der auf fast 30 Jahre Berufserfahrung
zurückblickt. «Das ist ja nichts Neues.» Patienten blieben im Schnitt

immer kürzer stationär in der Klinik, was insgesamt zu mehr Patienten
führe. Und das wiederum verändere und verdichte die Arbeit der Ärzte.

«Das ist über die letzten zehn Jahre stark zu beobachten gewesen.»

Viele Ärzte - gerade ältere - flüchteten sich auch in Teilzeit, um
Belastungen zu reduzieren, berichtet Michael Beck, Sprecher des
Marburger Bundes in Baden-Württemberg. «Und wir haben auch den Trend,
dass viele Ärzte in fachfremde Berufe wechseln - zum Beispiel in
Unternehmensberatungen.» Das verknappe dann auch den Ärztebestand.
Ein Medizinstudienplatz koste eine Menge Geld, sagt Beck. «Die
öffentliche Hand müsste sich überlegen: Wollen wir es, dass Ärzte
aufgrund der Belastung krank werden oder aus dem Beruf ausscheiden?
Man könnte viel kompensieren, wenn man den Arztberuf durch eine
Verbesserung der Arbeitsbedingungen attraktiver macht.»

Die Krankenhausgesellschaft dringt auch auf mehr Studienplätze. «Es
kann nicht sein, dass weiterhin Jahr für Jahr tausende Bewerber an
den medizinischen Fakultäten aufgrund zu geringer Kapazitäten
abgelehnt werden, während der Ärztemangel immer spürbarer wird.»
Schon derzeit seien 3500 Arztstellen wegen Personalmangels unbesetzt.

Der Marburger Bund hat eine Kampagne ins Leben gerufen, die eine
konsequente Kontrolle der Arbeitszeit fordert. Denn Fehler, die auf
Übermüdung oder Überlastung von Ärzten zurückzuführen seien, k
önnten
Patienten direkt betreffen und im Zweifel fatale Folgen haben.

In Wetzels Krankenhaus wird die Arbeitszeit zwar erfasst. Überstunden
werden ausgeglichen oder ausbezahlt. Aber nicht jeder ist zufrieden
damit: Viele Kollegen wollen, wie der Facharzt berichtet, eine
geregelte Arbeitszeit - und nicht viele Wochen lang Überstunden zu
ungünstigen Zeiten ansammeln, also nachts und an Wochenenden. «Sie
wollen nicht mehr 48 Stunden arbeiten, aber sie müssen es, weil sonst
die Dienste nicht adäquat besetzt werden können.» Erfassungssysteme
könnten auch ausgetrickst werden, sagt Beck. «Was mir oft begegnet:
Dass Druck ausgeübt wird, dass die Leute ausstempeln.»