WHO erklärt wegen neuer Lungenkrankheit in China keine Notlage

Die Sorge vor einer Ausbreitung der neuartigen Lungenkrankheit in
China ist groß: Die Weltgesundheitsorganisation erklärt aber trotzdem

vorerst keine Notlage von internationaler Tragweite.

Genf (dpa) - Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat trotz der
rasanten Zunahme von nachgewiesenen Infektionen mit einem neuen Virus
in China vorerst keine «gesundheitliche Notlage von internationaler
Tragweite» ausgerufen. Der Notfallausschuss, der die WHO berät, sah
dafür am Mittwoch keinen Anlass, wollte aber am Donnerstag erneut
tagen. «Die Situation ist komplex und in ständiger Entwicklung»,
sagte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus. Der Notfall-Ausschuss
empfahl, den Informationsaustausch unter den Staaten weiter zu
verbessern, wie der Vorsitzende Didier Houssin sagte.

Allerdings waren sich die Mitglieder des Notfallausschusses in der
Beurteilung der Situation nicht einig, sagte Houssin. Etwa die Hälfte
der Mitglieder sei für die Erklärung einer Notlage von
internationaler Tragweite gewesen. Der Ausschuss bestand nach
WHO-Angaben aus 16 Mitgliedern.

Mit einer offiziellen «Notlage» wären weitere konkrete Empfehlungen
an Staaten verbunden gewesen, um die Ausbreitung über Grenzen hinweg
möglichst einzudämmen. Zu solchen Empfehlungen kann beispielsweise
gehören, dass Reisende auf Krankheitssymptome geprüft werden, und
dass medizinisches Personal besser geschützt wird.

Weil immer mehr Menschen mit Grippesymptomen auf das neue Virus
getestet werden, nimmt die Zahl der bestätigten Fälle unaufhörlich
zu. Bis Mittwochabend wurde das Virus bei 544 Menschen nachgewiesen,
wie die chinesische Ausgabe der «Global Times» im
Kurznachrichtendienst Weibo berichtete. Die Zahl der Toten stieg nach
Angaben der Regierung der Provinz Hubei in der schwer betroffenen
Metropole Wuhan auf 17. Auch außerhalb Chinas wurden weitere
Infektionen bekannt. Die Krankheit kursiert seit Dezember.

In Europa gab es bis Mittwoch keine Nachweise. Für die Menschen in
Deutschland besteht nach Einschätzung der Bundesregierung ein «sehr
geringes» Gesundheitsrisiko. Es gebe keinen Grund, jetzt in
Alarmismus zu verfallen, sagte ein Sprecher von Gesundheitsminister
Jens Spahn (CDU). Die EU-Präventionsbehörde ECDC sprach von einem
moderaten Risiko, dass der Erreger in die Europäische Union
eingeschleppt wird. Noch sei unklar, wie schwerwiegend und wie
tödlich die Krankheit sei, meinte ECDC-Direktorin Andrea Ammon. «Mehr
epidemiologische Daten sind dringend erforderlich, um ein besseres
Verständnis des Virus zu gewinnen.»

Erstmals wurde ein Nachweis in den USA gemeldet. Betroffen war nach
Angaben der US-Gesundheitsbehörde ein Mann, der nach einer Reise in
die chinesische Stadt Wuhan am 15. Januar in die Westküstenmetropole
Seattle zurückgekehrt war. Sein Zustand sei gut. Es bestehe nur ein
sehr geringes Risiko, dass er andere angesteckt haben könnte, hieß
es. Die Krankheit war zuvor in Japan, Südkorea, Taiwan und
Thailand nachgewiesen worden.

Ob es bei der Eindämmung der Krankheit hilft, an Flughäfen die
Temperatur von ankommenden Passagieren aus der betroffenen Region zu
messen, ist umstritten. Forscher an der Universität von Perth in
Australien kamen in einer Studie 2015 zu dem Schluss, dass solche
Maßnahmen nicht effektiv waren. Sinnvoll seien sogenannte Exit
Screenings in Gebieten, die von einer Erkrankungswelle besonders
betroffen sind, hieß es beim Robert Koch-Institut (RKI) in Berlin.
Wuhan hat entsprechende Kontrollen bei der Ausreise bereits
eingeführt.

Es wird vermutet, dass die Quelle des neuartigen Coronavirus ein
Wildtier auf einem Fischmarkt in der chinesischen Stadt Wuhan war. Es
wurde nach Expertenmeinung zunächst vom Tier zum Menschen übertragen,
bevor das Virus sich an seinen neuen Wirt anpasste und es zu
Übertragungen zwischen Menschen kam. Mit der Reisewelle zum
chinesischen Neujahrsfest am kommenden Samstag wächst die Gefahr
einer Ausbreitung der Viruskrankheit. Bei der größten jährlichen
Reisewelle des Landes sind einige Hundert Millionen Chinesen
unterwegs.

Das neue Virus gehört zur selben Art wie das, das 2002/2003 die
Sars-Pandemie ausgelöst hat. Damals kamen etwa 800 Menschen dadurch
ums Leben. Das neue Virus soll nach derzeitigem Stand eine harmlosere
Variante sein. Sars-Viren gehören zu den Coronaviren, die oft
harmlose Erkrankungen wie Erkältungen verursachen. Allerdings gehören
auch Erreger gefährlicher Atemwegskrankheiten wie Mers dazu. Eine
Pandemie ist eine länder- und kontinentübergreifende Ausbreitung
einer Infektionskrankheit.

Eine «gesundheitlichen Notlage mit internationaler Tragweite» (public
health emergency of international concern - PHEIC) ist laut WHO ein
«außerordentliches Ereignis, das eine Bedrohung für die öffentliche

Gesundheit in anderen Ländern infolge einer grenzüberschreitenden
Ausbreitung bildet und das möglicherweise abgestimmte internationale
Gegenmaßnahmen erfordert».

Seit 2005 erklärte die WHO fünf Mal solche Notlagen, zuletzt im
vergangenen Jahr wegen des Ebola-Ausbruchs im Kongo.