Neuartige Lungenkrankheit in China - Droht eine neue Pandemie? Von Jörn Petring und Andreas Landwehr, dpa

Bisher gehen nur wenige Todesfälle auf das Virus zurück. Betroffen
waren vor allem Menschen in fortgeschrittenem Alter mit schweren
Vorerkrankungen. Dennoch ist die Sorge vor der im Dezember
aufgetauchten Lungenkrankheit in China inzwischen groß.

Peking (dpa) - Erst waren es nur Einzelfälle, inzwischen steigt die
Zahl gemeldeter Nachweise von Tag zu Tag deutlich: Ein neuartiges
Virus greift in China um sich, auch aus immer mehr anderen Ländern
werden vereinzelte Infektionen gemeldet. Droht der Welt eine neue
Pandemie?

Wie viele Fälle gibt es bisher?

Die Zahl bestätigter Infektionen stieg am Dienstag auf rund 300.
Anfangs war nur die zentralchinesische 11-Millionen-Metropole Wuhan
betroffen, inzwischen werden von den chinesischen Behörden auch Fälle
an anderen Orten sowohl im Norden wie auch im Süden Chinas gemeldet.
Bestätigt ist inzwischen auch, dass das Virus von Mensch zu Mensch
übertragen werden kann.

Unklar ist derzeit die mögliche Dunkelziffer nicht erkannter
Infektionen. Angaben aus China gibt es dazu nicht. Experten des
Imperial College London gehen davon aus, dass die neue Krankheit
schon wesentlich weiter verbreitet ist als bisher bekannt. Nach ihrer
Hochrechnung könnte es bereits mehr als 1700 Infizierte geben.
«Solche Schätzungen sind immer mit großen Unsicherheiten behaftet»,

sagte der Berliner Virusforscher Christian Drosten dazu. «Im Kern
glaube ich aber an diese Zahlen.»

Hat sich das Virus schon in weiteren Länder ausgebreitet?

Bestätigte Infektionen wurden bis Dienstag aus Taiwan, Thailand,
Japan und Südkorea gemeldet. Alle Betroffenen waren zuvor in Wuhan,
haben sich also sehr wahrscheinlich in China angesteckt. Zudem gibt
es in mehreren Ländern Verdachtsfälle, etwa auf den Philippinen. In
Europa wurden bisher keine von Reisenden eingeschleppten Fälle
bekannt. Immer mehr Länder weltweit führen vorsorglich spezielle
Kontrollen an Flughäfen für aus China einreisende Menschen ein.

Wie könnte sich das anstehende Neujahrsfest auf die Ausbreitung
auswirken?

Das neue Coronavirus trifft China mitten in der jährlichen
Hauptreisezeit. Nicht nur, dass in diesen Tagen hunderte Millionen
Chinesen im Land unterwegs sind, um pünktlich zum Neujahrsfest am
Freitag bei ihren Familien zu sein. In der zweiwöchigen Ferienzeit
rund um das Fest unternehmen viele Familien auch gemeinsame Reisen
ins Ausland. Beliebt sind dabei neben Zielen in Südostasien auch
Reisen nach Europa oder in die USA. 

Lässt sich das Risiko für die Bevölkerung in Deutschland einschätze
n?

Derzeit wird das Risiko vom zuständigen Robert Koch-Institut (RKI,
Stand 20.1.) in Berlin als «sehr gering» eingestuft. Diese
Einschätzung könne sich aufgrund neuer Erkenntnisse kurzfristig
ändern. «Wir müssen uns in Deutschland darauf vorbereiten, dass es
zumindest in Einzelfällen auch zu Einschleppungen der Erkrankung
kommt», sagte der Virusforscher Christian Drosten. «Kliniken müssen
dann darauf vorbereitet sein, die Patienten zu isolieren.»

Eine sichere Vorhersage lasse sich derzeit nicht machen, so Drosten.
«Es kann einerseits sein, dass wir es mit einem schweren und
auffälligen Krankheitsbild zu tun haben - dann ist es gut eindämmbar,
weil erkennbar.» Wenn es aber in den meisten Fällen um eine harmlose
Erkrankung gehe, ähnlich wie bei einer Erkältung, werde man die
Infektionswelle nicht so leicht eindämmen können, weil Ansteckungen
kaum auffielen. «Dann ist es aber auch weniger gefährlich.»

Was ist über die Symptome der Viruserkrankung bekannt? 

Nach derzeitigem Wissen sorge das Virus für Fieber und Symptome einer
Lungenentzündung, erklärte der Berliner Virusforscher Christian
Drosten. «Die oberen Atemwege sind kaum betroffen, es gibt
beispielsweise keinen Schnupfen.» Von Lunge zu Lunge gelangt ein
Erreger schwerer als etwa mit den Tröpfchen beim Niesen. Eine
schützende Impfung oder eine spezielle Therapie zur Behandlung der
Infektion gibt es nicht, lediglich die Symptome können mit
Medikamenten abgemildert werden.

Was ist über die verstorbenen Patienten bekannt?

Bis zum Dienstag waren sechs Todesfälle bekannt. Beim ersten Opfer
handelte es sich um einen 61-Jährigen, der nach Angaben chinesischer
Behörden auch an Krebs und einer chronischen Lebererkrankung
litt. Das zweite Opfer war demnach ein 69-Jähriger mit einer
Herzerkrankung. Zum dritten Todesopfer gibt es keine Angaben. Das
vierte Todesopfer ist ein 89-Jähriger, der Diabetes und eine
Herzerkrankung gehabt haben soll. Zu den zwei zuletzt bestätigten
Todesfällen lagen zunächst keine Details vor.

In welchem Ausmaß ist medizinisches Personal betroffen?

Bis Dienstag wurden von den chinesischen Behörden 15 Nachweise bei
Krankenhausmitarbeitern in der zentralchinesischen Stadt Wuhan
bestätigt. Für Experten ist es ein wichtiger Indikator, ob Ärzte und

Pfleger von einer neuen Erkrankung betroffen sind: Infizieren sich
viele von ihnen, ist das ein deutlicher Hinweis auf eine leichte
Übertragbarkeit.

Was ist über das Virus bekannt?

Derzeit wird das Virus von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als
«neues Coronavirus» - 2019-nCoV - bezeichnet. Eine Expertengruppe von
Virologen wird die endgültige Namensgebung durchführen. Coronaviren
sind dafür bekannt, sehr schnell auf neue Wirte überspringen und
schwere Krankheitsverläufe verursachen zu können.

Analysen des Erbguts haben dem Berliner Virusforscher
Christian Drosten zufolge ergeben, dass es sich um eine
Sars-Virus-Variante handelt. «Es ist dieselbe Virusart, nur in einer
anderen Variante», sagte der Direktor des Instituts für Virologie an
der Charité in Berlin. Unterschiede gebe es vor allem bei den
Proteinen, mit denen das Virus an menschliche Zellen andocke.

Sars-Viren gehören zu den Coronaviren, die oft harmlose Erkrankungen
wie Erkältungen verursachen. Allerdings gehören auch Erreger
gefährlicher Atemwegskrankheiten wie Mers dazu. Ein Sars-Virus hatte
von China ausgehend 2002/2003 eine weltweite Pandemie mit 8000
Infizierten zur Folge, etwa 800 Menschen starben. Inzwischen ist es
wahrscheinlich nur noch in Tieren unterwegs. Glücklicherweise sei das
Virus nicht so leicht übertragbar gewesen wie etwa die saisonale
Grippe, sagten Experten später. Sars steht für «Severe Acute
Respiratory Syndrome», also Schweres Akutes Atemwegssyndrom.

Was ist über den Ursprung des Erregers bekannt?

Die ersten Infektionen werden mit einem inzwischen geschlossenen
Fischmarkt in Wuhan in Verbindung gebracht, auf dem auch Wildtiere
verkauft wurden. Auch der Sars-Erreger von 2002/2003 war
höchstwahrscheinlich von einem Wildtier auf den Menschen
übergesprungen, angenommene Quelle sind Schleichkatzen. Die
chinesischen Behörden hätten bereits eine Hypothese, von welcher
Tierart der neue Erreger auf den Menschen übergesprungen sein könnte,
so Virusforscher Christian Drosten. «Das wird aber erst offiziell
verkündet, wenn es als gesichert gilt.»

Wie reagiert die Weltgesundheitsorganisation (WHO)? 

Die WHO hat wegen der Lungenkrankheit ihren Notfallausschuss
einberufen. Die Experten sollten am Mittwoch beraten. Sollte die WHO
einen internationalen Gesundheitsnotstand ausrufen, empfiehlt sie
damit schärfere Maßnahmen zur Bekämpfung der Seuche. Dazu können
unter anderem Grenzkontrollen und das Einrichten spezialisierter
Behandlungszentren gehören. Derzeit empfiehlt die WHO keinerlei
Reise- oder Handelsbeschränkungen, gibt aber Hinweise zu generell
einzuhaltenden Hygiene- und Verhaltensregeln für Reisende nach Wuhan
in China.

Wie ungewöhnlich ist das Auftauchen eines neuen Erregers?

Dass ein zuvor unbekanntes Virus so wie das jetzige Ausbrüche beim
Menschen verursacht, kommt nach Einschätzung des Berliner
Virusforschers Christian Drosten etwa alle zehn Jahre vor. Tollwut,
HIV, Mers, Ebola: Die meisten Infektionskrankheiten des Menschen
stammen aus dem Tierreich. Gerade Säugetiere tragen Erreger, die auf
den Menschen überspringen können. Als Quelle neuer Coronaviren gelten
unter anderem Fledermäuse und Flughunde. Auch Nutztiere haben in der
Vergangenheit Coronaviren auf den Menschen übertragen.

Bei spontanen Wirtswechseln eines Erregers ist die Gefahr einer
gefährlichen Epidemie oft größer als bei schon lange kursierenden,
weil der Mensch keine Antikörper gegen den neuen Erreger hat.