Therapie mit Ecstasy-Unterstützung soll Trauma-Patienten helfen Von Stefanie Järkel, dpa

Ecstasy ist als gefährliche Partydroge bekannt. Therapeuten aus den
USA und Israel testen den Wirkstoff nun an Trauma-Patienten. Deutsche
Experten sprechen von einem vielversprechenden Ansatz.

Jerusalem (dpa) - Als Nachum Patscheniks Vater seinen Sohn
missbrauchte, ging in dem Jugendlichen etwas kaputt. «Es ist eine Art
Tod in deinem Leben, du atmest ein und aus, aber du lebst dein Leben
nicht - jahrelang», erzählt Patschenik, heute 47, in einem Café in
Jerusalem. Er habe die Lebenslust verloren, sich geschämt, sei
Menschen aus dem Weg gegangen.

Ärzte diagnostizierten bei ihm eine Posttraumatische
Belastungsstörung (PTBS), die manche Menschen nach extrem belastenden
Ereignissen entwickeln. Psychotherapien halfen dem vierfachen Vater
nicht, bis er 2014 an einer Studie mit MDMA
(Methylendioxymethylamphetamin) teilnahm.

Der synthetische Wirkstoff ist in der Partydroge Ecstasy enthalten.
Studien hätten gezeigt, «dass MDMA den therapeutischen Prozess für
Menschen, die an PTBS leiden, verbessern kann», betont die
US-Organisation MAPS (Multidisciplinary Association for Psychedelic
Studies), die das therapeutische Potenzial bestimmter Drogen
erforscht. Dies könne daran liegen, dass die Substanz Angst
verringern, Kommunikation und Selbstbeobachtung verbessern sowie
Mitgefühl steigern könne.

Ingo Schäfer, Leiter der Traumaambulanz am Uniklinikum
Hamburg-Eppendorf, verweist auf Zahlen, wonach in Europa rund zwei
Prozent der Bevölkerung einmal im Leben an einer PTBS leiden.
Ausgelöst werden kann die Störung etwa durch Kriegserfahrungen,
Entführungen, Überfälle oder sexuellen Missbrauch.

Symptome sind etwa Schlafstörungen, Konzentrationsschwäche, Alpträume

oder Schuld- und Schamgefühle. Betroffene sind deutlich anfälliger
für Suchterkrankungen, Depressionen und andere psychische Probleme.
Bei rund jedem Dritten wird die Krankheit chronisch.

Dass eine Psychotherapie mit MDMA-Unterstützung solchen Patienten
helfen kann, hatte unter anderem eine US-Studie gezeigt, die 2018 im
Fachblatt «The Lancet Psychiatry» veröffentlicht wurde. Darin hatte
ein Team um Allison Feduccia von MAPS 26 Patienten behandelt,
überwiegend Kriegsveteranen und Feuerwehrleute.

Während der Therapie bekamen sie bei zwei bis drei der Sitzungen die
Droge verabreicht. Zwölf Monate nach Ende der Therapie erfüllten 16
der 26 Teilnehmer die PTBS-Kriterien nicht mehr. Eine 2019 im
Fachblatt «Psychopharmacology» veröffentlichte Analyse von fünf
weiteren solchen Studien bestätigte diese Resultate.

Allerdings sollten die Untersuchungen vor allem die Sicherheit der
Therapie prüfen. Zwar erlebten manche Teilnehmer Angst, Müdigkeit,
Kopfschmerzen und Schlafprobleme. Die Autoren betonten jedoch, die
Therapie sei in dem geprüften Rahmen sicher und könne den Nutzen
einer Psychotherapie verstärken.

Das bestätigten auch Andrea Cipriani und Philip Cowen von der
Universität Oxford in einem «Lancet»-Kommentar: «Der nicht erfü
llte
Bedarf an besseren PTBS-Therapien insbesondere für Kriegsveteranen
und Rettungskräfte steht außer Frage», schrieben die Psychiater.
«Doch ob der Nutzen einer MDMA-gestützten Psychotherapie für die
psychiatrische Routine verallgemeinert werden kann, muss noch gezeigt
werden.»

Das soll nun eine aus Spenden finanzierte Phase-3-Studie an bis zu
300 PTBS-Patienten in den USA, Kanada und Israel zeigen. Ziel der
Untersuchung, die seit Ende 2018 an insgesamt 15 Zentren läuft, ist
die Zulassung des Verfahrens in den USA im Jahr 2021.

Die Psychologin Keren Zarfati leitet den israelischen Teil der
Studie. Jeder der 14 Teilnehmer habe insgesamt 15 Therapiesitzungen,
immer mit einem männlichen und einer weiblichen Therapeutin, sagt
sie. Bei drei Sitzungen erhalten die Patienten eine MDMA-Tablette
oder ein Placebo. Die Substanz wirke ungefähr acht Stunden, während
beide Therapeuten den Patienten betreuen. Insgesamt seien die
Teilnehmer jeweils 24 Stunden im Krankenhaus und unter ständiger
Beobachtung.

«MDMA schafft einen Zugang», sagt Zarfati. So könne ein Patient «au
f
eine kontrollierte Art» mit seinem Trauma in Kontakt kommen.
Gewöhnlich könnten PTBS-Patienten sich ihren Erfahrungen nicht
stellen, erläutert sie und betont: «MDMA macht nicht die Arbeit, der

Klient macht das mit den Therapeuten.»

Auch das israelische Gesundheitsministerium arbeitet an einem
Pilotprojekt mit 50 Teilnehmern. Die zuständige Psychotherapeutin
Bella Ben Gerschon geht von einem Start in diesem Jahr aus.

Erwerb, Handel und Herstellung von MDMA sind in Deutschland - wie
auch in anderen Ländern - verboten. Die Deutsche Hauptstelle für
Suchtfragen schreibt: «Der Konsum von Ecstasy schädigt Hirn und
Nerven und kann Gedächtnis-, Sprachstörungen und
Konzentrationsschwäche zur Folge haben. Regelmäßiger Ecstasy-Konsum
kann zu einer psychischen Abhängigkeit führen.»

Doch auch hierzulande interessieren sich Experten für die kombinierte
Therapieform. «Ich glaube, dass der Ansatz vielversprechend ist, wir
aber noch nicht gut genug wissen, für welche Patienten im
Speziellen», sagt UKE-Mediziner Schäfer. Da gebe es Forschungsbedarf.
«Wir sind immer froh über jeden potenziell hilfreichen Ansatz, gerade
bei Erkrankungen, die durchaus eine hohe Neigung dazu haben,
chronisch zu verlaufen.»

Auch Tomislav Majic von der Berliner Charité nennt den Ansatz
interessant, sieht aber ebenfalls noch Forschungsbedarf. Vor allem
betont der Psychiater: «Dies heißt jedoch ausdrücklich nicht, dass
die Einnahme von MDMA außerhalb eines kontrollierten therapeutischen
Settings sicher ist oder gar zu günstigen Effekten auf
Angsterkrankungen wie der PTBS führen wird.»

Patschenik erzählt, dass er heute keine PTBS mehr hat. Sein Leben
habe sich nach der Therapie grundlegend verändert. «Danach habe ich
zu mir gesagt: «Ich weiß, dass meine Gefühle nicht so gefährlich
sind, wie ich zuvor gedacht habe. Nun kann ich betrauern, was
passiert ist, dass ich meinen Vater in dem Punkt verloren habe. Es
ist ein Weg, die Vergangenheit loszulassen.»» Patschenik fing an,
Sport zu treiben, sich gesünder zu ernähren. Mittlerweile lässt sich

der Lehrer selbst zum Therapeuten ausbilden.