«Es hat peng im Kopf gemacht» - Elf Jahre Haft im Stromschlags-Prozess Von Britta Schultejans, dpa

Es ist einer der spektakulärsten Fälle der vergangenen Jahre: Als
falscher Arzt brachte ein Informatiker junge Frauen dazu, sich
lebensgefährliche Stromschläge zuzufügen. Jetzt hat das Landgericht
München II das Urteil gesprochen.

München (dpa) - Er brachte junge Frauen dazu, sich unter Strom
stehende Löffel an die Schläfen zu halten. Oder mit Alufolie
überzogene Sandalen anzuziehen und sich damit Stromschläge zu
versetzen. So sieht es das Landgericht München II, das den weitgehend
geständigen Angeklagten in einem der spektakulärsten Fälle der
vergangenen Jahre am Montag wegen versuchten Mordes in 13 Fällen zu
elf Jahren Haft verurteilte.

Der Angeklagte brachte demnach auch andere Personen dazu, Mädchen zu
fesseln - etwa mit Kabelbindern an eine Gartenliege - und ihnen
Elektroschocks zuzufügen. Dazu gab er sich als Mediziner aus, sprach
von wissenschaftlichen Studien und erteilte per Online-Chat
Anweisungen. Es soll ihn erregt haben zu sehen, wie seine Opfer
zitterten, Krämpfe und starke Schmerzen erlitten. Einige hatten
Brandmarken an den Schläfen. Sie hätten sterben können.

Das Gericht nahm in keinem der Fälle direkten Tötungsvorsatz an -
aber bedingten. Das Mordmerkmal: Befriedigung des Geschlechtstriebes.
Verurteilt wurde der Angeklagte auch wegen Titelmissbrauchs und
Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereiches durch
Bildaufnahmen. Er zeichnete die Chats auf, um sie sich immer wieder
ansehen zu können.

Der Angeklagte, der den Gerichtssaal am Urteilstag vermummt betrat
und sein Gesicht vor den zahlreichen Kameras versteckte, nahm das
Urteil äußerlich ungerührt entgegen. Seine Mutter, die als
gesetzliche Betreuerin neben ihm saß, wirkte bestürzt.

Angeklagt war der 30 Jahre alte Informatiker aus Würzburg
ursprünglich wegen versuchten Mordes in 88 Fällen. Das Gericht
wertete allerdings nicht alle Fälle als versuchte Morde, sondern ging
in einigen lediglich von Körperverletzung aus. Fälle, in denen die
jungen Frauen nur so taten, als würden sie sich wirklich Strom durch
den Körper jagen, flossen aus Gründen der «Verfahrensverschlankung»

nicht in das Urteil ein.

Mit den elf Jahren blieb die Kammer hinter der Forderung der
Staatsanwaltschaft von 14 Jahren zurück - und übertraf die Forderung
der Verteidigung nach einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren weit.
Außerdem ordnete das Gericht die Unterbringung in einem
psychiatrischen Krankenhaus an. Laut einem Gutachter hat der
Angeklagte das Asperger-Syndrom, gepaart mit einer «sexuellen
Deviation» - sprich einer Abweichung. In der Aussage des Angeklagten,
die Taten seien nicht sexuell motiviert gewesen, sah das Gericht «ein
Verdrängungsmoment» und eine «nahe liegende Beschönigung».

Der Richter beschrieb, dass der junge Mann sich im Internet unter
anderem über Sado-Maso-Praktiken und Folter austauschte, bevor seine
jahrelange Tatserie startete. Von 2013 bis Anfang 2018 zog er seine
Masche immer wieder durch. Sein jüngstes Opfer war laut Anklage erst
13 Jahre alt. Für die angeblichen wissenschaftlichen Studien bot er
den Teilnehmerinnen, die er auf einer Kleinanzeigen-Plattform fand,
weil sie dort einen Nebenjob suchten, mal 200, mal 450 Euro, sogar
1500 oder 3000 Euro. Das Gericht sprach von einer
«Täuschungslegende».

Dass er wegen seiner psychischen Verfassung - wie es die Verteidigung
nahelegte - nicht genau wusste, wie gefährlich das war, was die
jungen Frauen in seinem Auftrag taten, glaubte das Gericht nicht.
Immer wieder habe er die Frauen, wenn sich bei ihnen während der
Chatverläufe Angst und Zweifel meldeten, beschwichtigt und das Risiko
heruntergespielt.

Besonders schwerwiegend bewertete die Kammer jene Fälle, in denen der
junge Mann seine Opfer dazu brachte, sich metallene Gegenstände an
beide Schläfen zu halten - «was bedeutet, dass das menschliche Gehirn
im Stromweg liegt», wie der Vorsitzende Richter sagte. Dabei hätten
die Opfer heftige Schmerzen erlitten. «Es hat mir das Licht
ausgeknipst», zitierte der Richter eines der Opfer. Es habe sich
angefühlt «wie ein Sternenhagel». Oder: «Es hat peng im Kopf
gemacht.»