Gruppenleiter von Pfadfindern nach Kindesmissbrauch vor Gericht Von Jürgen Ruf, dpa

Ein ehemaliger Gruppenleiter von Pfadfindern soll sich jahrelang an
vier Jungen vergangen haben. Wegen eines solchen Verdachts stand der
Mann schon einmal vor Gericht. Die Kirche ließ ihn dennoch weiter
arbeiten. Jetzt hat der Prozess gegen ihn begonnen.

Freiburg (dpa/lsw) - Der Angeklagte trägt Hand- und Fußfesseln. Sein
Gesicht verbirgt er, als er den Gerichtssaal betritt, mit einer
grauen Jacke: Wegen hundertfachen sexuellen Kindesmissbrauchs muss
sich seit Montag ein ehemaliger Betreuer von Pfadfindern vor dem
Landgericht Freiburg verantworten.

Dem 42-jährigen Deutschen werden 330 sexuelle Übergriffe zur Last
gelegt, wie Staatsanwältin Nikola Novak zum Prozessauftakt sagte. Der
ehemalige Leiter einer evangelischen Pfadfindergruppe in Staufen bei
Freiburg habe sich von Januar 2010 bis August 2018 an vier Jungen
vergangen. Diese waren damals 7 bis 14 Jahre alt.

Bei den Pfadfindern sei er als Kirchenmitarbeiter für die Betreuung
von Grundschulkindern zuständig gewesen, erklärte der Mann, der nach
Verlesung der Anklage öffentlich zu seiner Person aussagte. Angaben
zu den Missbrauchsvorwürfen machte er unter Ausschluss der
Öffentlichkeit, wie sein Verteidiger Stephan Althaus mitteilte.
Gegenüber der Polizei habe er bereits ein umfassendes Geständnis
abgelegt.

Nach Überzeugung der Staatsanwältin nutzte der Mann seine Rolle als
Gruppenleiter bei den Pfadfindern aus. Er habe Kinder vergewaltigt
und anderweitig sexuell missbraucht. Pro Opfer habe es mehrere
Übergriffe wöchentlich gegeben. Um nicht entdeckt zu werden, habe er
die Jungen massiv unter Druck gesetzt und ihnen gedroht. Erst als
sich acht Jahre nach der ersten Tat einer der Jungen den Eltern
anvertraute, wurden die Verbrechen bekannt. Die vier Opfer seien
schwer traumatisiert und litten bis heute.

Wegen Kindesmissbrauchs stand der Mann schon einmal vor Gericht. 2004
bis 2007 wurde gegen ihn laut Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts
des Kindesmissbrauchs ermittelt. Es habe damals jedoch Aussage gegen
Aussage gestanden, das Landgericht Freiburg sprach den Mann frei. Die
Kirche beschäftigte ihn danach bei den Pfadfindern weiter, wie er am
Montag sagte. Gespräche über den Vorwurf des Kindesmissbrauchs oder
Auflagen habe es durch die Kirche nicht gegeben. Er habe, wie schon
zuvor, als Gruppenleiter Grundschulkinder betreut.

Hinweise auf Fehler bei der Kirche, für die der Mann arbeitete, gebe
es nicht, sagte die Staatsanwältin. Es werde daher nicht gegen die
Kirche ermittelt. Nach Bekanntwerden des Falls hatte die evangelische
Kirche angekündigt, die Fälle möglichst schnell aufklären zu wollen

und daraus Lehren zu ziehen. Ergebnisse wurden bislang nicht bekannt.

Von 1999 bis 2011 war der Kirchenmitarbeiter der Anklage zufolge mit
drei Jahren Unterbrechung Gruppenleiter der evangelischen
Pfadfindergruppe in Staufen. Dort habe er zwei der Opfer
kennengelernt. Zu den beiden anderen Jungen habe er Kontakt über
Freizeitaktivitäten sowie auf einem Campingplatz gehabt. Der gelernte
Krankenpfleger wurde vor knapp einem Jahr festgenommen. Seitdem sitzt
er in Untersuchungshaft.

«Es ist davon auszugehen, dass es eine hohe Dunkelziffer gibt», sagte
die Staatsanwältin mit Blick auf den Angeklagten. Sie hatte
ursprünglich 676 sexuelle Übergriffe angeklagt. Das Gericht ließ
jedoch lediglich 330 Fälle zu. Nur diese ließen sich als Vorwürfe
belegen, wie ein Gerichtssprecher sagte. Sie werden nun verhandelt.

Das Gericht werde neben einer Haftstrafe anschließende
Sicherungsverwahrung prüfen müssen, sagte Novak am Rande des
Prozesses gegenüber Journalisten. Eine Gefahr für die Allgemeinheit
müsse ausgeschlossen werden.

Auch ein 28-Jähriger - ebenfalls Betreuer der Pfadfindergruppe in
Staufen - steht den Behörden zufolge im Verdacht des sexuellen
Missbrauchs von zwei Jungen. Die Ermittlungen gegen ihn laufen noch,
wie eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft sagte.

Staufen südlich von Freiburg war bereits wegen anderer
Sexualverbrechen an einem Jungen in den Schlagzeilen gewesen. Einen
Zusammenhang mit den Missbrauchsvorwürfen bei den Pfadfindern gibt es
den Angaben zufolge nicht.

Der Prozess wird am Mittwoch (22. Januar) fortgesetzt. Das Gericht
hat zunächst sieben Verhandlungstage angesetzt. Ein Urteil könnte es
demnach am 18. Februar geben (Az.: 15 KLs 160 Js 6850/19 - AK 2/19).