Ausmaß der mysteriösen Lungenkrankheit in China größer als angenomm en Von Andreas Landwehr, dpa

Ausländische Experten schätzen die Zahl der Infizierten mit dem neuen
Coronavirus auf 1700. In China steigt die Zahl der bestätigten Fälle
zwar - doch sind es erst 62. Sind Erkrankte doch ansteckend?

Wuhan (dpa) - Die Ausbreitung der rätselhaften Lungenkrankheit in
China ist möglicherweise viel größer als bisher bekannt. Das
britische Zentrum für die Analyse globaler Infektionskrankheiten am
Imperial College London schätzt die wahre Zahl der Infizierten auf
mehr als 1700. Auch warnen die Experten vor einer Übertragung von
Mensch zu Mensch. Die zentralchinesische Metropole Wuhan berichtete
am Sonntag hingegen nur, dass bei 17 weiteren Lungenkranken das neue
Coronavirus entdeckt worden sei. Die Zahl der in China bestätigten
Fälle steigt damit auf 62. Zwei Patienten sind bisher gestorben.

«Es ist wahrscheinlich, dass der Ausbruch des neuen Coronavirus in
Wuhan bedeutend mehr Fälle mit mittleren oder schweren Erkrankungen
der Atemwege verursacht hat als bisher berichtet», heißt es in der
Studie der Experten vom Imperial College London, das auch die
Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die britische Regierung berät.

Die Schätzung von mehr als 1700 Infektionen geht auf ein Rechenmodell
zurück, in dem die Fachleute die drei im Ausland festgestellten
Infektionen mit der Zahl der Flugreisenden, der Größe der Bevölkerung

und der Inkubationszeit zugrunde gelegt haben. So leben im
Einzugsgebiet des Flughafens von Wuhan rund 19 Millionen Menschen,
von denen aber nur rund 3400 Personen am Tag ins Ausland fliegen.

In Thailand sind zwei Infektionen und in Japan ein Fall bei Reisenden
aus Wuhan bestätigt worden. Die drei Patienten hatten aber nicht den
Tiermarkt besucht, der nach amtlichen Angaben mit den meisten anderen
Infektionen in Wuhan in Verbindung gebracht wurde. Unter Hinweis auf
die Erfahrungen mit ähnlichen Coronaviren wie Sars oder Mers warnen
die Experten aus London, «dass eine sich selbst erhaltene Übertragung
von Mensch zu Mensch nicht ausgeschlossen werden sollte».

Chinas nationale Gesundheitskommission verwies auf Experten, die den
Ausbruch als «kontrollierbar» einstuften. «Doch ist der Ursprung des

neuen Typs von Coronavirus noch nicht gefunden, und die Übertragung
wird noch nicht völlig verstanden», hieß es in einer Stellungnahme.


Die WHO hat bisher keine Reisewarnung für Touristen ausgesprochen.
Die US-Gesundheitsbehörde (CDC) riet allerdings Reisenden nach Wuhan,
Tiermärkte und den Kontakt mit Tieren oder mit kranken Personen zu
meiden. «Eine begrenzte Übertragung von Mensch zu Mensch könnte
vorkommen», hieß es in der Mitteilung.

Asiatische Nachbarn haben vorsorglich Fieberkontrollen bei
Einreisenden aus China eingeführt. Auch die US-Flughäfen in New York,
San Francisco und Los Angeles haben Gesundheitskontrollen für
Reisende aus Wuhan eingerichtet. Die Reisewelle zum chinesischen
Neujahrsfest am kommenden Samstag hat in China bereits eingesetzt. In
der größten jährlichen Völkerwanderung sind einige Hundert Millione
n
Chinesen unterwegs, was die Gefahr einer Übertragung infektiöser
Krankheiten erhöht.

Coronaviren verursachen oft harmlose Erkrankungen wie Erkältungen -
allerdings gehören auch Erreger gefährlicher Atemwegskrankheiten wie

Sars und Mers dazu. Es wird vermutet, dass das neuartige Virus aus
der Tierwelt kommt. Bislang gab es laut WHO aber «keine klaren
Beweise» für eine Übertragung von Mensch zu Mensch.

Nach dem Ausbruch der neuen Lungenkrankheit in Wuhan wurden bereits
Verdachtsfälle aus Hongkong, Taiwan, Südkorea, Singapur, Vietnam und
Nepal berichtet. Mindestens drei verdächtige Patienten gibt es auch
in den chinesischen Städten Shenzhen und Shanghai, wie die Hongkonger
Zeitung «South China Morning Post» berichtete.

Der neue Erreger ist nach Angaben von Experten dem Sars-Virus sehr
ähnlich. Sars steht für «Severe Acute Respiratory Syndrome», also
Schweres Akutes Atemwegssyndrom. Bei der Sars-Pandemie waren
2002/2003 von China ausgehend weltweit rund 8000 Menschen an der
Lungenseuche erkrankt. Knapp 800 starben. Damals war der Ausbruch
anfangs vertuscht worden, was eine schnelle Reaktion verhindert und
die Verbreitung zunächst begünstigt hatte.

Die 17 neuen Infektionen in Wuhan seien bei der Untersuchung von
weiteren Patienten festgestellt worden, die in verschiedenen
Krankenhäusern der Stadt mit Lungenleiden unbekannter Ursache
behandelt worden seien, berichtete das Gesundheitsamt. Drei von ihnen
seien ernsthaft erkrankt. Die anderen seien stabil. Somit steigt die
Gesamtzahl der Patienten im kritischen Zustand auf acht.

Das Alter der neu identifizierten Patienten reiche von 30 bis 79
Jahren, hieß es. Wie die anderen Erkrankten seien sie auch in
Quarantäne gekommen. Die Behörden verfolgten jetzt, welche Personen
mit ihnen engen Kontakt gehabt hätten. Die Stadt werde ihre Suche
nach weiteren Verdachtsfällen ausweiten und Tests machen, kündigte
das Gesundheitsamt an. Von den 62 bestätigten Patienten seien bisher
19 als geheilt entlassen worden.