«Als würde mein Gehirn brennen» - Urteil im Strom-Prozess erwartet Von Britta Schultejans, dpa

Warum will ein Mann sehen, wie junge Frauen sich mit Stromschlägen
Schmerzen zufügen? Und warum machen Frauen da mit? Vor dem
Landgericht München II geht ein aufsehenerregender Prozess zu Ende,
bei dem auch nach dem Urteil viele Fragen offen bleiben dürften.

München (dpa) - Nägel in Steckdosen, Elektroden an den Schläfen: Wozu

ein falscher Mediziner junge Frauen und Mädchen gebracht hat, ist
kaum zu glauben. An diesem Montag (20. Januar) soll am Landgericht
München II das Urteil im sogenannten Stromschlag-Prozess fallen.

Die Staatsanwaltschaft fordert 14 Jahre Haft für den Angeklagten und
die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Der
Informatiker aus Würzburg hat eingeräumt, sich als falscher Arzt
ausgegeben und Frauen per Skype dazu gebracht zu haben, sich selbst
lebensgefährliche Stromschläge zuzufügen. Die Beweislast war
erdrückend: Weil er das Ganze aufzeichnete, gibt es Dutzende
Video-Dokumente. Angeklagt ist er wegen 88-fachen versuchten Mordes.
Zu Beginn des Prozesses entschuldigte er sich bei einem seiner Opfer:
«Ich wollte nur mal sagen, dass das ein moralischer Fehler war und
schlecht war.»

Der 30-Jährige behauptete, wissenschaftliche Studien zur
Schmerztherapie durchzuführen. Per Videochat-Programm Skype brachte
er seine Opfer dazu, sich selbst lebensgefährliche Stromschläge
zuzuführen. Sie bauten Apparate mit Löffeln oder ließen sich für di
e
Stromschläge an einem Stuhl festbinden. Sein jüngstes Opfer war laut
Anklage erst 13 Jahre alt.

Er soll dafür jeweils Geld geboten haben - mal 200, mal 450 Euro,
sogar 1500 oder 3000 Euro. In manchen Fällen sollen sogar die Eltern
der Mädchen bei den angeblichen wissenschaftlichen Versuchen geholfen
haben. Ein Vater, so heißt es in der Anklage, versetzte seiner
Tochter demnach mehrfach Stromschläge mit einem Elektroschockgerät.

«Sowohl die Zufügung von Schmerzen mittels elektrischem Strom, als
auch nackte Füße an sich sowie Fesselungen sind ein Fetisch des
Angeschuldigten», heißt es in der Anklage. Die Staatsanwaltschaft
geht davon aus, dass es ihn sexuell erregte, wenn Frauen durch Strom
Schmerzen erlitten. Sie fordert eine Verurteilung des 30 Jahre alten
Angeklagten wegen versuchten Mordes, gefährlicher Körperverletzung,
Titelmissbrauchs und Verletzung des höchstpersönlichen
Lebensbereiches.

Die Verteidigung legt dagegen eine psychische Erkrankung des
Angeklagten - das Asperger-Syndrom - nahe und plädierte auf eine
Bewährungsstrafe von zwei Jahren wegen Titelmissbrauchs und wegen der
Erstellung von Bildaufnahmen. Hilfsweise komme eine Verurteilung
wegen fahrlässiger Körperverletzung beziehungsweise fahrlässiger
versuchter Tötung in Frage. Sein Anwalt forderte außerdem, die
Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zur Bewährung
auszusetzen.

Offen bleibt, warum so viele Frauen und Mädchen sich selbst
verletzten, nur weil ein Mann aus dem Internet, den sie nie gesehen
haben, ihnen das auftrug.

Vor Gericht waren schockierende Ausschnitte aus dem Videochat des
Angeklagten mit seinen Opfern zu sehen. Eine junge Frau, die als
Nebenklägerin in dem Verfahren auftrat, hielt sich dabei zwei unter
Strom stehende Löffel an die Schläfen, bevor direkt danach der Strom
ausfiel und der Chat unterbrochen wurde. Vor Gericht konnte sie nicht
erklären, warum sie dies mitmachte. Aber sie konnte sagen, was sie
dabei empfand: «Es hat sich angefühlt, als würde mein Gehirn
brennen.»