Studie: Fünf Jahre nach Abtreibung überwiegt Erleichterung Von Alice Lanzke, dpa

Wie ergeht es Frauen Jahre nach einer Abtreibung und was hilft ihnen?
Das will der Bundesgesundheitsminister untersuchen lassen. In den USA
ist gerade eine Studie dazu herausgekommen.

Oakland (dpa) - Fünf Jahre nach einem Schwangerschaftsabbruch
bewertet der überwiegende Teil der Frauen den Eingriff als richtige
Entscheidung. Das berichten Forscherinnen der Universität von
Kalifornien im Fachblatt «Social Science & Medicine». Ihre Studie ist
insofern wichtig, da Abtreibungsgegner immer wieder die angeblichen
negativen psychologischen Folgen als Argument anführen.

Das Team um die Medizinerin Corinne Rocca untersuchte Daten der so
genannten Turnaway-Studie, einer Langzeituntersuchung mit fast 1000
Frauen aus 21 US-Bundesstaaten zum Thema ungewollte Schwangerschaft.
Die Analyse umfasste zunächst 667 Frauen im Alter von
durchschnittlich 25 Jahren, die zu Beginn der Studie eine Abtreibung
hatten vornehmen lassen. Die Frauen wurden eine Woche nach dem
Eingriff sowie elf weitere Male alle sechs Monate befragt. 37,5
Prozent nahmen bis zum Ende der Studie nach fünf Jahren daran teil.

Die Frauen berichteten, dass im Laufe der Zeit sowohl die negativen
als auch die positiven Gefühle zum Schwangerschaftsabbruch schwanden.
Nach fünf Jahren sagten 84 Prozent der verbliebenen Teilnehmerinnen,
dass sie entweder positive Emotionen oder gar keine mehr dazu hatten.
95 Prozent bezeichneten die Abtreibung als richtige Entscheidung.

Für Anette Kersting, Direktorin an der Klinik und Poliklinik für
Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Universitätsklinikum
Leipzig, ist besonders die Datenlage der Studie bemerkenswert:
«Untersuchungen wie diese mit 30 Einrichtungen, einer derart hohen
Fallzahl und einem Zeitraum von fünf Jahren können selten
durchgeführt werden.» Allerdings müsse auch im Blick behalten werden,

dass von den angefragten Frauen nur 37,5 Prozent bis zum Ende der
Studie teilgenommen hätten, so dass die Frage nach der
Repräsentativität gestellt werden müsse. «Das ist aber bei allen
Studien zu dem Thema so», betont Kersting. Insgesamt blieben die
Ergebnisse dennoch in ihrer Tendenz wichtig.

Diese zeigen auch, dass jeweils 27 Prozent der 667 befragten Frauen
die Entscheidung für eine Abtreibung entweder schwer oder sehr
schwergefallen ist, 31 Prozent fürchteten eine Stigmatisierung in
ihrem Umfeld, sollte der Schwangerschaftsabbruch bekannt werden. Eben
jene Gruppen fühlten sich in der Zeit nach dem Eingriff auch öfter
traurig, schuldig oder wütend. Doch bereits im ersten Jahr danach
gingen diese Emotionen bei den allermeisten deutlich zurück und das
Gefühl der Erleichterung überwog.

«Nicht der Schwangerschaftsabbruch an sich führt zu Belastungen, die
die Frauen nicht bewältigen können», sagte Kersting. Entscheidend
seien vielmehr persönliche Faktoren sowie das soziale Umfeld. So
seien etwa Menschen, die unter Traumata litten oder kein
verlässliches soziales Netz hätten, oft weniger gut gerüstet, um eine

derartig schwere Entscheidung zu treffen, sagte Kersting und ergänzt:
«Die Hälfte der Befragten gab an, dass es schwierig gewesen sei, sich
für den Abbruch zu entscheiden - was ebenso normal wie
nachvollziehbar ist.» Das Abebben von negativen Emotionen innerhalb
eines Jahres zeige aber, dass die meisten Frauen damit zurechtkämen.

Ähnlich äußert sich Psychologin Julia Steinberg von der Universität

von Maryland in einem begleitenden Kommentar: Eine schwere
Entscheidung sei nicht gleichzusetzen mit einer falschen. Für
Steinberg ist die Studie auch insofern wichtig, da sich die Annahme
von den negativen psychologischen Folgen auch in den Vorschriften für
einen Schwangerschaftsabbruch zeigten. Je nach Bundesstaat gehören
dazu in den USA bestimmte einzuhaltende Wartezeiten und zwei
Beratungstermine.

Steinberg schreibt von Bürden für die Frauen wie auch von Stress, der
sonst gar nicht aufkommen würde: «Das ist als sich selbst erfüllende

Prophezeiung bekannt. Die psychologischen Effekte hätten gar nicht
existiert, hätte eine externe Quelle (und externe Informationen sind
hier per Gesetz vorgeschrieben) nicht vermittelt, dass Frauen
negative psychologische Auswirkungen, Entscheidungsschwierigkeiten
oder eine falsche Entscheidung erwarten können.»

Tatsächlich tobt um das Thema Abtreibung auch hierzulande seit
geraumer Zeit eine politische Debatte, wie sich zuletzt Anfang 2019
zeigte, als die Große Koalition um die Reform des Paragrafen 219a des
Strafgesetzbuches rang, der regelt, wie über Abtreibungen informiert
werden darf. In einem Kompromiss einigten sich Union und SPD darauf,
dass Ärzte und Kliniken künftig anders als bislang etwa auf ihrer
Website mitteilen dürfen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche
vornehmen. Im Zuge dieses Kompromisses kündigte das
Bundesgesundheitsministerium ebenfalls eine Studie an.

Die Ausschreibung startete im September und läuft derzeit noch, wie
das Ministerium mitteilte. Konkret geht es um die Förderung von
«Forschungsvorhaben zu psychosozialer Situation und
Unterstützungsbedarf von Frauen mit ungewollter Schwangerschaft».
Ziel ist, Erkenntnisse dazu zu gewinnen und den Stand des Wissens
auszubauen. Die Projekte sollen voraussichtlich in der ersten Hälfte
2020 beginnen, die Laufzeit beträgt drei Jahre.

Das Forschungsvorhaben wurde von einigen Wissenschaftlern im Vorfeld
als überflüssig bezeichnet. Denn schon vor der aktuellen US-Studie
ergaben andere Untersuchungen aus den USA, Dänemark und Deutschland,
dass weder die seelische Gesundheit von Frauen unter einer Abtreibung
leide noch ein erhöhtes Risiko für Depressionen bestehe. Umso
wichtiger sei es, dass sich die vom Bundesgesundheitsministerium
geplante Studie auf die Beratungssituation in Deutschland
konzentriere, meint Kersting. Und dies sei nach der politischen
Diskussion auch geplant.

Die Ergebnisse aus den USA hätten deutlich gemacht, dass sechs
Prozent der Frauen auch fünf Jahre nach dem Eingriff negative
Emotionen hätten: «Die drängende Frage lautet, wie wir diese Gruppe
von Anfang an besser erkennen und unterstützen können.» Schon jetzt
sei unabhängig davon klar, wie wichtig eine neutrale und
ergebnisoffene Beratung sei.

In Deutschland ist die Zahl der Abtreibungen in den vergangenen drei
Jahren nahezu gleichgeblieben. So lag sie dem Statistischen Bundesamt
zufolge 2017 und 2018 bei etwa 101 000 sowie in den ersten drei
Quartalen 2019 bei gut 76 000.