«Forensisches Neuland» - Verteidiger fordert neues Zahngutachten

Im Aschaffenburger Prozess um den Mord an einer 15-Jährigen vor 40
Jahren ist eine Bissspur an der Leiche von zentraler Bedeutung. Die
Verteidigung bezweifelt das Gutachten einer Sachverständigen. Ein
ehemaliger Mitgefangener belastet den Angeklagten schwer.

Aschaffenburg (dpa/lby) - Im Prozess um den Mord an einer 15-Jährigen
vor 40 Jahren hat die Verteidigung ein weiteres zahnmedizinisches
Gutachten beantragt. Dieses soll beweisen, dass auf dem Foto, das die
Bissspur am Opfer zeige, nicht mehr als die Stellung der vier
vorderen Unterkieferzähne zu erkennen sei und weitere Zahnabdrücke
nicht zweifelsfrei zugeordnet werden könnten, teilte der Sprecher des
Landgerichts Aschaffenburg, Ingo Krist, am Donnerstag mit.

Aus Sicht der Verteidigung sei ein weiterer Sachverständiger
erforderlich, weil das bisherige Gutachten nicht auf Grundlage des
Originalfotos der Obduktion erstattet wurde, sondern anhand eines
durch das Landeskriminalamt zur Verfügung gestellten aufgehellten
Bildes. Angesichts der besonderen Schwierigkeit des Falles sei ein
Zweitgutachten einzuholen, um mögliche Fehlinterpretationen durch den
Effekt der Aufhellung des Bildes zu bewerten, zitierte der Sprecher
den Verteidiger Bernhard Zahn. «Eine Verurteilung auf Grundlage eines
Bissgutachtens ist forensisches Neuland», habe Zahn gesagt.

Am Mittwoch hatte eine Sachverständige die Vorwürfe der Anklage
untermauert. Die an der Leiche festgestellte Bissspur stamme «mit an
Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit» vom Gebiss des heute
57-jährigen Angeklagten, zitierte der Gerichtssprecher die
zahnmedizinische Sachverständige Gabriele Lindemaier vom Institut für
Rechtsmedizin der Ludwig-Maximilians-Universität in München. So habe
dessen Gebiss im Unterkiefer zwei eingedrehte Zähne und eine nur vier
Millimeter große Zahnlücke, was genetisch bedingt und an der Wunde
erkennbar sei.

Am Donnerstag sagte auch ein ehemaliger Mitgefangener des Angeklagten
aus. In der Untersuchungshaft in der JVA Aschaffenburg im vergangenen
Jahr habe sich ihm der Angeklagte in einem längeren Gespräch
anvertraut und ihm von dem Mordfall erzählt. Er habe erzählt, auf das
Mädchen «gestanden» zu haben, der beginnende Kontakt in der
Nachbarschaft sei aber irgendwann abgebrochen und der Angeklagte habe
das Mädchen deshalb zur Rede stellen wollen. Man habe sich für den
Abend der Tat zu einem Gespräch verabredet. Der Angeklagte sei an
diesem Abend mit mehreren Bekannten unterwegs gewesen und habe sich
dann für das Treffen von der Gruppe abgesetzt.

Der Angeklagte habe das Mädchen damit konfrontieren wollen, warum der
Kontakt abbrach. Als das Mädchen gehen wollte, sei «es» dann
passiert. Es sei, so der Zeuge über die Angaben des Angeklagten,
«alles sehr schnell gegangen». Der Angeklagte sei danach schnell zu
der Gruppe zurückgelaufen, um ein Alibi zu haben. Von dem Mordfall
habe er erst einige Zeit nach dem Gespräch mit dem Angeklagten und
der eigenen Verurteilung in der Zeitung gelesen und sich dann an die
Staatsanwaltschaft gewandt, sagte der Zeuge laut Gerichtssprecher
Krist weiter.

Die 15-Jährige war im Dezember 1979 im Aschaffenburger Schlosspark
entkleidet und getötet worden. Der Fall blieb jahrzehntelang
ungeklärt. 2017 hatten sich Cold-Case-Ermittler der Sache erneut
angenommen. Die Bisswunde an der Leiche gilt als der möglicherweise
entscheidende Hinweis in dem Indizienprozess. Ein Urteil wird am 6.
Februar erwartet.

Der Angeklagte sitzt seit Mai in Untersuchungshaft. Der Prozess muss
nach Jugendstrafrecht in nichtöffentlicher Sitzung geführt werden,
weil der Angeklagte zur Tatzeit erst 17 Jahre alt war. Ihm droht im
Falle einer Verurteilung eine Höchststrafe von zehn Jahren Haft.