Organspende-Reform beschlossen - Was bringen die neuen Impulse? Von Sascha Meyer, Basil Wegener und Jörg Ratzsch, dpa

Viele Patienten warten verzweifelt darauf, eine Niere oder andere
Organe zu erhalten, die ihnen jemand nach dem Tod überlässt. Damit
mehr Menschen Spender werden, soll auch das Internet helfen.

Berlin (dpa) - Das Ziel ist klar: Angesichts Tausender todkranker
Menschen auf den Wartelisten sollen in Deutschland dauerhaft mehr
Organe gespendet werden. Doch wie soll das gelingen? Der Bundestag
beschloss am Donnerstag eine Reform, die auf mehr Impulse setzt,
damit sich mehr mögliche Spender auch konkret entscheiden.

Was soll sich konkret ändern?

Umgesetzt werden soll ein Vorstoß, den eine Abgeordnetengruppe um
Grünen-Chefin Annalena Baerbock und Linke-Chefin Katja Kipping
erarbeitet hat. Der etwas komplizierte Name ist Programm: Ziel ist
die «Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende».
Dafür sollen mehr regelmäßige Denkanstöße organisiert werden - un
d
leichtere Möglichkeiten, eine Entscheidung zu dokumentieren. Wer ab
16 Jahren einen Personalausweis beantragt, ihn nach zehn Jahren
verlängert oder sich einen Pass besorgt, soll im Amt Info-Material
bekommen. Beim Abholen soll man sich dann schon direkt vor Ort, aber
auch jederzeit später zu Hause in ein neues Online-Register eintragen
können - mit Ja oder Nein, Änderungen bleiben immer möglich. Auch in

Ausländerbehörden soll es ein solches Angebot geben.

Was ist ergänzend geplant?

Selbst beraten sollen die Mitarbeiter der Ämter nicht. Dafür sollen
Hausärzte eine größere Rolle spielen, zu denen viele besonderes
Vertrauen haben. Sie sollen Patienten bei Bedarf alle zwei Jahre über
Organspenden informieren und zum Eintragen ins Register ermuntern -
aber ergebnisoffen und mit dem Hinweis, dass es weiter keine Pflicht
zu einer Erklärung gibt. Grundwissen über Organspenden soll auch Teil
der Erste-Hilfe-Kurse vor einer Führerscheinprüfung werden, um vor
allem junge Leute zu erreichen. Auch bei der Ärzteausbildung soll die
Thematik größeres Gewicht bekommen und Prüfungsstoff werden.

Wie rasch greifen die Neuregelungen?

Die Umsetzung braucht noch Zeit. Vor allem, um das zentrale Register
beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte aufzubauen.
In Kraft treten sollen die Neuregelungen daher zwei Jahre nach
Verkündung des Gesetzes - bei Veröffentlichung in diesem Jahr also
2022. Im Register soll dann jeder ab 16 Jahren Erklärungen zur
persönlichen Entscheidung zu Organspenden abgeben, ändern oder
widerrufen können. Ein Widerspruch ist schon ab 14 möglich. Abrufen
können die Angaben dann nur der Betroffene selbst sowie rund um die
Uhr benannte Ärzte, die aber nicht an der Organspende beteiligt sind.
Wer die Angaben nicht per Internet machen kann oder möchte, kann auch
weiter einen Organspendeausweis oder eine Patientenverfügung nutzen.

Was ist überhaupt das Problem mit der Spendebereitschaft?

Mehr als 9000 Menschen in Deutschland warten auf Organe. Für sie geht
es um Leben und Tod. Und jeder kann ja in diese Situation kommen.
Doch nur 40 Prozent haben laut einer Umfrage im Auftrag der Techniker
Krankenkasse einen Spendeausweis, auf dem man Ja oder Nein ankreuzen
kann. Dabei haben 84 Prozent generell eine positive Einstellung dazu.
Obwohl die Kassen regelmäßig Vordrucke durch die Republik schicken,
schieben viele eine Festlegung immer wieder vor sich her. Und ohne
ausdrücklich erklärtes Ja dürfen keine Organe entnommen werden. 

Was können Vorbehalte sein?

Für Organspenden muss der Tod zweifelsfrei sein: Dafür müssen zwei
Fachärzte unabhängig voneinander den vollständigen und unumkehrbaren

Ausfall des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms bestätigen.
Manche machen sich Sorgen, dass der Tod zu früh festgestellt werden
könnte. Auch Organspendeskandale 2012 verunsicherten viele Leute. Es
ging um Manipulationen bei Wartezeiten für Transplantationen. Und
generell verhindert eine Spende, dass Angehörige im letzten Moment
dabei sein können. Hirntote sind noch warm, das Herz schlägt.

Wie haben sich die Zahlen entwickelt?

Alarmiert hat Ärzte und Politik der Tiefstand von 797 Spendern im
Jahr 2017. Womöglich auch angesichts der anziehenden Debatte gingen
die Zahlen dann aber herauf - im vergangenen Jahr überließen 955
Menschen nach dem Tod Organe für andere Patienten, etwas weniger als
2018. Jedoch waren es 2012 noch 1200 gewesen. Jeder Spender schenkte
zuletzt im Schnitt mehr als drei Schwerkranken neue Lebenschancen.

Was wird noch für mehr Organspenden getan?

Die bundesweit rund 1300 Kliniken, die Organe entnehmen, sollen mehr
Geld und Zeit dafür bekommen. Eine Gesetzesänderung dafür ist aber
erst im vergangenen Jahr in Kraft getreten. Eigens für
Transplantationen beauftragte Mitarbeiter sollen nun mehr Freiräume
haben. Kliniken werden für den Prozess von Organspenden besser
vergütet. Ein neuer Bereitschaftsdienst mit mobilen Ärzteteams soll
gewährleisten, dass die Voraussetzungen des Hirntods überall
festgestellt werden können.

Wie ist die Organspende in anderen Ländern geregelt?

Befürworter der im Bundestag gescheiterten Widerspruchslösung
verweisen etwa auf Spanien, das auf viel höhere Spenderzahlen kommt.
Dort werden aber auch Spenden nach Herztod einbezogen, wie die
Deutsche Stiftung Patientenschutz erklärt. In Frankreich, Belgien,
Österreich, Tschechien und Polen gilt ebenfalls die
Widerspruchslösung. In Norwegen werden in der Praxis Angehörige vor
einer Entnahme gefragt, ob sich der Verstorbene dagegen ausgesprochen
hat. In Schweden muss der Verstorbene in der Regel vor dem Tod
zugestimmt haben. Sonst werden Angehörige gefragt.