Organspende-Reform: Mehr Menschen sollen sich entscheiden

Aufwühlende Debatte im Bundestag: Zwar erlitten die Befürworter eines

Neustarts bei der Organspende eine Niederlage. Dennoch soll das Leben
von mehr Schwerkranken gerettet werden.

Berlin (dpa) - Die Menschen in Deutschland sollen auch künftig nicht
automatisch als Organspender gelten. Allerdings soll eine stärkere
Aufklärung mehr Bürger zu konkreten Entscheidungen für eine Spende
bewegen. Nach einer intensiven und emotionalen Debatte über Leben und
Tod beschloss der Bundestag am Donnerstag eine moderate Neuregelung.
Sie sieht auch ein neues Online-Register mit Spende-Erklärungen vor.
Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will die Reform mit «Tatkraft»
umsetzen, obwohl ein eigener Vorstoß im Parlament scheiterte. Demnach
sollten alle Menschen als Spender gelten - außer man widerspricht.

Mit deutlicher Mehrheit setzte sich im Parlament der Gegenentwurf
einer Abgeordnetengruppe um Grünen-Chefin Annalena Baerbock durch. In
namentlicher Abstimmung erhielt er 432 Ja-Stimmen, 200 Parlamentarier
stimmten dagegen, 37 enthielten sich. Der Vorstoß der anderen Gruppe
für eine «doppelte Widerspruchslösung» scheiterte klar. Dagegen war
en
379 Abgeordnete, 292 unterstützten ihn, 3 enthielten sich.

Baerbock sagte in der Debatte, abgestimmt werde auch über die Frage:
«Wem gehört der Mensch? In unseren Augen gehört er nicht dem Staat,
nicht der Gesellschaft, er gehört sich selbst.» Sie wies Vorbehalte
zurück, dass sich an der geringen Spendebereitschaft durch die nun
beschlossenen Regelungen nichts ändern würde. Ärzte im Krankenhaus
könnten sofort auf das Online-Register zugreifen. «Damit ändert sich

an dem Hauptproblem, nämlich dass zu wenig gemeldet und
transplantiert wird, wirklich in der Realität etwas», sagte Baerbock.

Künftig sollen demnach alle Bürger mindestens alle zehn Jahre direkt
auf das Thema Organspende angesprochen werden. Wer ab 16 Jahre einen
Personalausweis beantragt, ihn verlängert oder sich einen Pass
besorgt, soll Material dazu bekommen. Schon auf dem Amt kann man sich
mit Ja oder Nein in das Register eintragen - aber auch später etwa
online von zu Hause. Auch in Ausländerbehörden soll es so umgesetzt
werden. Selbst beraten sollen Ämter nicht. Hausärzte sollen Patienten
bei Bedarf alle zwei Jahre über Organspenden informieren und zum
Eintragen ins Register ermuntern - aber ergebnisoffen. Grundwissen
soll auch Teil der Erste-Hilfe-Kurse vor einer Führerscheinprüfung
werden. Im Register soll man Entscheidungen jederzeit ändern können.

Vor den Abstimmungen hatten Redner über Fraktionsgrenzen hinweg
eindringlich und oft mit Schilderungen persönlicher Schicksale für
ihre Vorstöße geworben. Spahn mahnte: Patienten lebten teils seit
Jahren in Krankenhauszimmern mit großen Maschinen, weil es keine
Spenderorgane gebe. In keinem anderen Bereich werde solches Leid
akzeptiert. «Wir wollen eine Kultur der Organspende.» Karl Lauterbach
(SPD), Mitinitiator der Widerspruchslösung, sagte: «Es ist unethisch,

ein Organ nehmen zu wollen, aber nicht bereit zu sein, zumindest Nein
zu sagen, wenn ich nicht bereit bin, zu spenden.» Thomas Oppermann
(SPD) mahnte, viele Hoffnungen würden enttäuscht, «wenn wir uns f
ür
ein nur leicht verändertes «Weiter so» mit der Zustimmungsregelung
entscheiden». Auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) stimmte für die
Widerspruchslösung, sprach in der Debatte aber nicht.

Die SPD-Abgeordnete Hilde Mattheis betonte: «Eine Spende muss eine
Spende bleiben, ein aktiver freiwilliger und selbstbestimmter Akt.»
Auf Trägheit und den Unwillen von Menschen zu setzen, schaffe kein
Vertrauen. Kathrin Vogler von der Linken warnte ebenfalls davor,
jeden Menschen bis auf einen Widerspruch als Organspender zu sehen:
«Es sät doch Zweifel und verstärkt vorhandene Ängste.» Christine

Aschenberg-Dugnus von der FDP kritisierte an der Widerspruchslösung:
«Das missachtet unseren gesellschaftlichen Konsens, dass Schweigen
niemals als Zustimmung gewertet werden kann.»

Der AfD-Abgeordnete Robby Schlund nannte die Widerspruchslösung gemäß

eines eigenen Antrags seiner Fraktion «absolut inakzeptabel» und
einen «Eingriff in die freiheitlichen Grundrechte der Bürger».

Gemeinsames Ziel beider Initiativen war es, angesichts von rund 9000
Patienten auf den Wartelisten zu mehr Spenden zu kommen. Die Zahl der
Spender ging im vergangenen Jahr leicht auf 932 zurück. Durch jeden
Spender bekamen im Schnitt mehr als drei Schwerkranke neue
Lebenschancen. Bereits seit vergangenem Jahr gilt ein Gesetz, das die
Bedingungen für Organspenden in Kliniken verbessern soll. Es sieht
unter anderem mehr Geld sowie mehr Kompetenzen und Freiräume für
Transplantationsbeauftragte der Kliniken vor.

Spahn betonte nach der Entscheidung, nun gehe es darum, noch mehr
aufzuklären und das Online-Register aufzubauen. In drei, vier oder
fünf Jahren sollte dann aber geschaut werden, ob sich an der Lage der
Patienten, die auf Organe warten, tatsächlich etwas geändert habe.
Lauterbach prognostizierte: «Wir werden Schlusslicht bleiben, das ist
meine Vorhersage. Und wenn das klar ist, dann werden wir hier wieder
die Debatte führen.» Die christlichen Kirchen begrüßten die
Entscheidung.