Bundestag entscheidet über Zukunft von Organspenden

Es geht um die Klärung einer sensiblen Frage: Wie drastisch sollten
die Regeln geändert werden, damit mehr Menschen nach dem Tod Organe
für Schwerkranke überlassen? Der Ausgang im Parlament ist offen.

Berlin (dpa) - Nach monatelangen Diskussionen entscheidet der
Bundestag am Donnerstag (9.00 Uhr) über die Zukunft von Organspenden
in Deutschland. Zur Abstimmung stehen zwei gegensätzliche
Gesetzentwürfe für neue Regeln. Eine Abgeordnetengruppe um
Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) schlägt eine weitreichende
Umstellung auf eine «doppelte Widerspruchslösung» vor. Demnach soll
grundsätzlich jeder als Spender gelten, außer man widerspricht. Dies
lehnt eine andere Gruppe um Grünen-Chefin Annalena Baerbock ab. Sie
schlägt vor, alle Bürger alle zehn Jahre beim Ausweisabholen auf das
Thema anzusprechen. Bisher sind Organentnahmen nur bei ausdrücklich
erklärtem Ja zulässig. Beide Seiten warben bis zuletzt für ihre
Vorstöße.

Die frühere Gesundheitsministerin Ulla Schmidt warnte vor der
Widerspruchslösung. «Auch in medizinethisch heiklen Fragen wurde das
Selbstbestimmungsrecht immer hoch gehalten», sagte die
SPD-Abgeordnete der Deutschen Presse-Agentur. Dies würde durch eine
Widerspruchslösung verletzt. Auch der Kölner Kardinal Rainer Maria
Woelki mahnte, die Organspende müsse freiwillig sein. «Die Würde des

Menschen ist auch im Sterben und sogar über den Tod hinaus
unantastbar», sagte er in einem Videostatement.

Spahn betonte dagegen, die Bereitschaft zur Organspende müsse
Normalität werden. «Ich bin jahrelang selber dafür eingetreten,
allein über Aufklärungskampagnen Menschen für die Organspende zu
gewinnen. Aber das reicht nicht», sagte er den Zeitungen der
Funke-Mediengruppe (Donnerstag). Er appellierte an die Abgeordneten:
«Wir müssen mutiger sein und einen Kulturwandel einleiten.»

Über die beiden Gesetzentwürfe und einen AfD-Antrag soll im Plenum
zunächst debattiert werden. Bei der Abstimmung gibt es keine sonst
üblichen Fraktionsvorgaben. Zuerst soll über den Entwurf der Gruppe
um Spahn entschieden werden, der die weitestgehende Veränderung
bedeuten würde. Bekommt er die Mehrheit der abgegebenen Stimmen, wäre
die Widerspruchslösung beschlossen. Ansonsten soll dann als nächstes
über den Entwurf der Gruppe um Baerbock abgestimmt werden. Gemeinsam
haben beide Vorstöße, dass sie ein zentrales Register anstreben. Dort
sollen Ärzte Organspende-Erklärungen gezielt abfragen können.

Die Mehrheitsverhältnisse sind schwer einzuschätzen. Bei einer ersten
offenen Debatte waren breite Vorbehalte gegen eine Widerspruchslösung
deutlich geworden. Als im Sommer 2019 die Gesetzentwürfe eingebracht
wurden, hatte die Gruppe um Spahn vorab 222 Unterstützer, darunter
Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Der Entwurf der Baerbock-Gruppe hatte
191 Unterschriften. Insgesamt gibt es aber 709 Abgeordnete.

Gemeinsames Ziel beider Initiativen ist es, angesichts von rund 9000
Patienten auf den Wartelisten zu mehr Organspenden zu kommen. Die
Zahl der Spender ging im vergangenen Jahr wieder leicht auf 932
zurück, nachdem 2018 noch 955 Menschen nach ihrem Tod Organe für
andere Patienten überlassen hatten. Es gab nun aber weiterhin mehr
Spender als beim bisherigen Tiefstand von 797 im Jahr 2017. Im
vergangenen Jahr wurden 2995 Organe an die Vermittlungsstelle
Eurotransplant übergeben - vor allem Nieren, Lebern und Lungen.

Ex-Fußballprofi Ivan Klasnic setzt auf eine Sensibilisierung der
Öffentlichkeit. «Menschen interessieren sich meistens nicht für das
Thema. Wenn dann aber eine Entscheidung getroffen werden muss, muss
man sich zwingend damit befassen», sagte der frühere Spieler von
Werder Bremen dem Nachrichtenportal «t-online.de». «Ich bin
dafür, gleich mit der Geburt zum Organspender gemacht zu
werden.» Die Nieren von Klasnic hatten 2006 versagt. Inzwischen hat
er die dritte Nierentransplantationen hinter sich.

Unabhängig von der Debatte über neue Regeln gilt seit vergangenem
Jahr ein Gesetz, das die Bedingungen für Organspenden in Kliniken
verbessern soll. Es sieht mehr Geld sowie mehr Kompetenzen und
Freiräume für Transplantationsbeauftragte der Kliniken vor. Mobile
Ärzteteams sollen kleineren Häusern ohne eigene Experten helfen,
einen Hirntod als Voraussetzung für Organentnahmen festzustellen.