Legales Marihuana - Die große Ernüchterung Von Hannes Breustedt, dpa

Die voranschreitende Legalisierung von Marihuana in Nordamerika
lockte zahlreiche Unternehmen an. Doch die großen Hoffnungen blieben
unerfüllt. Die mit viel Anlegergeld hochgerüstete Branche ist zurück

auf dem Boden der Realität - und muss jetzt Abstriche machen.

New York (dpa) - Börsensturz, Geldnot, eine Pleitewelle droht: In
Nordamerikas Cannabis-Industrie macht sich nach dem Rausch der
vergangenen Jahre Katerstimmung breit. Trotz des Booms im Zuge der
Legalisierung in Kanada und etlichen US-Bundesstaaten wurden die
hohen Erwartungen vieler Unternehmer und Anleger bislang nicht
erfüllt. Inzwischen deutet sogar einiges auf eine Investitionsblase
hin. Ist die Luft schon wieder raus aus dem Trendthema?

Die Hoffnungen waren enorm - dafür gab es auch gute Gründe. Im Jahr
2018 ließen zuerst der bevölkerungsreichste US-Bundesstaat
Kalifornien und dann Kanada Marihuana als Genussmittel zu. Damit
öffneten sich die bislang weltweit größten Märkte für legalen Anb
au
und Handel der Droge, was einen Ansturm von Investoren auslöste. Die
Aussicht auf hohe Renditen lockte Milliarden an Anlegergeld an.

Diverse Promis rührten die Werbetrommel für Cannabis-Firmen - von
American-Football-Legende Joe Montana und Hollywood-Schauspielern wie
Whoopi Goldberg oder Woody Harrelson über Ex-Boxchampion Mike Tyson
bis hin zu Rapper Snoop Dogg sowie Erben von Reggae-Ikone Bob Marley
und Silicon-Valley-Starinvestor Peter Thiel. Doch das vergangene Jahr
brachte die Branche mit Wucht auf den Boden der Realität zurück.

Der Marihuana-Aktienindex WEED, der die Wertentwicklung
börsennotierter Cannabis-Unternehmen misst, brach 2019 um fast die
Hälfte ein. Seit April liegt er sogar mit deutlich mehr als 60
Prozent im Minus. Rund 25 Milliarden Dollar haben die größten sechs
Konzerne seitdem an Börsenwert eingebüßt. «Dies ist das 2008 der
Cannabis-Industrie», meint Kevin Murphy, der Chef des Branchenriesen
Acreage Holdings - ein Vergleich mit dem Horrorjahr der Finanzkrise.

Was sind die Gründe für den Absturz? In den USA ist Marihuana zwar
mittlerweile in 33 Bundesstaaten zu medizinischen Zwecken oder ganz
erlaubt, doch unter dem Bundesgesetz nach wie vor verboten. Solange
sich dies nicht ändert, stehen Cannabis-Firmen vor Problemen. Banken,
Versicherer und Finanzdienstleister machen einen Bogen um die Branche
- Kredite und sogar Konten sind häufig schwierig zu bekommen. In
Krisenzeiten kommt noch ein weiterer großer Nachteil hinzu.

Denn wegen des Verbots unter dem Bundesgesetz können die Unternehmen
auch keinen Gläubigerschutz unter dem Insolvenzrecht beantragen. Und
die Situation scheint bereits prekär. Laut Finanzdienst Bloomberg
erhalten nur noch die stärksten Firmen frische Mittel an den
Kapitalmärkten. Einem Dutzend kleinerer Unternehmen drohe 2020 die
Pleite, zitiert Bloomberg einen anonymen Manager aus der Branche.
Einigen Firmen könne schon in den nächsten Wochen das Geld ausgehen.

Selbst einige große Unternehmen sind in Nöten. So kündigte das
kalifornische Schwergewicht MedMen Enterprises jüngst einen radikalen
Personalabbau sowie Verkäufe von Geschäftsteilen an und sah sich
trotz ungünstiger Konditionen zu einer Kapitalerhöhung gezwungen. Im
US-Nachbarland Kanada ist die Lage zwar anders, aber ebenfalls
kritisch. Marihuana ist hier bundesweit erlaubt, dennoch tun sich
viele Firmen schwer. Die ersten Insolvenzen haben bereits begonnen.

In Kanada blieb der erhoffte Andrang auf legales Marihuana bislang
schlichtweg aus. Umfrageergebnisse der Regierung zeigen, dass im
dritten Quartal lediglich 28 Prozent der Konsumenten Marihuana auf
legalen Wegen besorgten. Der Großteil setzt offenbar - wie übrigens
auch in Kalifornien - weiter auf den Schwarzmarkt, wo die Preise
günstiger sind. Der legale Handel kommt nur schwer in Gang, bisher
entstanden deutlich weniger Cannabis-Läden in Kanada als erwartet.

Die junge Branche hofft, dass sich dies bald ändert. Für Zuversicht
in Kanada sorgt immerhin, dass eine zweite Legalisierungswelle gerade
erst anrollt. Denn bislang ging es nur um den klassischen
«Gras»-Verkauf, doch einen großen Teil des Geschäfts mit Marihuana

machen inzwischen «Edibles» aus. Der Überbegriff umfasst diverse
Artikel rund um die Droge - von Drinks, Ölen und Keksen über Pillen
und Salben bis hin zu Beruhigungsmitteln oder Appetitanregern.

Diese Produkte wurden erst in einem zweiten Schritt erlaubt und sind
nun der große Hoffnungsbringer der gebeutelten Industrie. Die
Wirtschaftsberatung Deloitte rechnet damit, dass dieser «Cannabis
2.0»-Trend das Marktpotenzial erst richtig entfaltet. Kanada werde
deshalb treibende Kraft eines Wachstumsschubs bleiben, der das
weltweite Volumen des Cannabis-Marktes bis 2025 von aktuell 100
Milliarden auf 194 Milliarden US-Dollar ansteigen lassen dürfte.

Auch in den USA gibt es durchaus Optimisten. Analystin Vivien Azer
vom Investmenthaus Cowen & Co etwa sieht die drohende Insolvenzwelle
als eine Art Gesundschrumpfen, das der Industrie letztlich helfen
werde. Der Markt müsse «aufgeräumt» werden. Zumindest scheint das
zeitweise gefürchtete Szenario eines strikten Durchgreifens der
US-Bundesregierung gegen Cannabis immer unwahrscheinlicher. Mit dem
Abgang von Donald Trumps erstem Justizminister Jeff Sessions («Gute
Menschen rauchen kein Marihuana») ist ein großes Risiko verschwunden.

Und die Zustimmung der Menschen zur Legalisierung war nie höher, so
dass die Regierung Trump sich mit einer harten Linie gegen Cannabis
wohl keinen Gefallen täte. Einer CBS-Umfrage zufolge sprachen sich
2019 rund 65 Prozent der Erwachsenen in den USA für legales Marihuana
aus - ein Höchstwert. Erstmals befürwortet das demnach auch eine
56-prozentige Mehrheit der republikanischen Wähler. Hinweise auf eine
bundesweite Legalisierung gibt es bislang allerdings nicht, auch wenn
sich Präsident Trump vor vielen Jahren mal dafür ausgesprochen hat.