Spannung vor Organspende-Entscheidung im Bundestag

Lange wurde diskutiert, jetzt wird es im Parlament konkret: Sollen
völlig neue Regeln kommen, um mehr Organspenden zu ermöglichen? Bei
der Abstimmung sollen die Abgeordneten nur ihrem Gewissen folgen.

Berlin (dpa) - Vor der wegweisenden Bundestags-Entscheidung zur
Zukunft von Organspenden in Deutschland haben Abgeordnete für die
beiden gegensätzlichen Vorstöße geworben. Gesundheitsminister Jens
Spahn (CDU) und die Bundesärztekammer riefen angesichts von rund 9000
Schwerkranken auf den Wartelisten zu einer tiefgreifenden Umstellung
auf. Demnach soll künftig jeder als Spender gelten, wenn man nicht
widerspricht. Patientenschützer und eine andere Abgeordnetengruppe,
die einen Gegenvorschlag vorlegt, untermauerten Bedenken dagegen. Die
Abstimmung ohne übliche Fraktionsvorgaben wird mit Spannung erwartet.

Spahn sagte, er sei kein Gegner des anderen Entwurfs. «Ich meine nur,
dass es zu wenig ist», sagte er dem Nachrichtenportal t-online.de
(Mittwoch). Nur die «doppelte Widerspruchslösung», die er mit einer
Gruppe von Abgeordneten vorschlägt, mache einen echten Unterschied.
Sie würde die Rechtslage umkehren, wonach Organentnahmen nur bei
ausdrücklich erklärtem Ja erlaubt sind. Stattdessen sollen alle
Bürger Spender sein, wenn sie dem nicht widersprechen. Sonst wäre
noch der nächste Angehörige zu fragen, ob er einen Widerspruch kennt.

Der CSU-Politiker Georg Nüsslein sagte, die meisten Menschen wollten
ein Spenderorgan, wenn sie nur so überleben könnten. Das sei der
Normalfall. «Deshalb macht es Sinn, auch die Spendenbereitschaft zum
Normalfall zu machen.» Dies sei «ein Akt christlicher Nächstenliebe
».
Ärztepräsident Klaus Reinhardt sagte, die Widerspruchslösung wäre e
in
starkes Signal der gesellschaftlichen Solidarität. Dies zwinge
niemanden, Organe zu spenden und greife daher auch nicht in das
Selbstbestimmungsrecht ein. Diese Lösung nehme Menschen aber in die
Pflicht, sich für oder gegen eine Spende zu entscheiden.

Die Unterstützer des alternativen Gesetzentwurfs für eine Stärkung
der Entscheidungsbereitschaft kritisierten diese Stoßrichtung. «Wir
wollen, dass Spender Spender sein müssen», sagte die SPD-Abgeordnete
Hilde Mattheis. Die Anhänger der Widerspruchslösung setzten auf die
Trägheit der Menschen mit dem Ziel, dass viele nicht widersprechen.
Kirsten Kappert-Gonther (Grüne) meinte, die Widerspruchsregelung
könne die Spendebereitschaft sogar reduzieren. Die Linke-Abgeordnete
Kathrin Vogler argumentierte, es komme ohnehin vor allem auf eine
bessere Organisation in Kliniken an. Otto Fricke (FDP) monierte, die
Widerspruchslösung wolle Nächstenliebe quasi staatlich verordnen.

Der Entwurf dieser Gruppe, zu der Grünen-Chefin Annalena Baerbock
gehört, sieht vor, stärker zu einer Entscheidung über Organspenden
anzuhalten. Dafür schlägt sie etwa vor, alle Bürger mindestens alle
zehn Jahre beim Ausweisabholen auf das Thema anzusprechen.

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz mahnte, dass die nächsten
Verwandten weiter eine wichtige Rolle spielen müssten. «Organspende
braucht die Angehörigen», sagte Vorstand Eugen Brysch, der Deutschen
Presse-Agentur. «Daher ist es falsch, die Familien bei dieser ethisch
sensiblen Frage zu reinen Vermittlern abzuwerten.» Es gelte, die
Angehörigen zu stärken und sie in alle Entscheidungen einzubeziehen.
Dies zielt darauf, dass laut dem Vorschlag der Gruppe um Spahn die
Angehörigen nicht mehr nach einer eigenen Entscheidung gefragt werden
sollen. Dies solle sie entlasten, heißt es dazu im Gesetzentwurf.

Über die beiden Entwürfe und einen Antrag der AfD soll im Plenum
zunächst debattiert werden. Eine namentliche Abstimmung gibt es dann
zuerst zum Entwurf der Gruppe um Spahn, der die weitestgehende
Veränderung bedeuten würde. Bekommt er die Mehrheit der abgegebenen
Stimmen, wäre die Widerspruchslösung beschlossen. Ansonsten soll dann
als nächstes über den Entwurf der Baerbock-Gruppe abgestimmt werden.
Gemeinsam sehen beide Vorstöße ein zentrales Register vor. Dort
sollen Ärzte Organspende-Erklärungen gezielt abfragen können.