Der Herr der Nachtruhe Von Wolfgang Jung und Uwe Anspach , dpa

Viele Menschen haben Schlafstörungen. Experten wie Hans-Günter Weeß
kennen dafür etliche mögliche Ursachen. Ihr Ziel: «Wir wollen
Patienten zu ihrer eigenen Schlaftablette machen.»

Klingenmünster (dpa) - Hans-Günter Weeß hat einen Traumjob -
wortwörtlich. Als Leiter des Interdisziplinären Schlafzentrums in
Klingenmünster (Pfalz) analysiert der 56-Jährige, was nachts im Kopf
anderer Menschen vor sich geht. Dazu klebt er Patienten kleine
Plättchenelektroden an die Stirn und misst Hirnströme, Muskelspannung
und Augenbewegung. Sein Ziel: ungestörte Nachtruhe für gestresste
Geister. «Wir wollen Patienten zu ihrer eigenen Schlaftablette
machen.»

Längst ist Schlaf auch ein Wirtschaftsfaktor. Wer nicht gut
schlummert, gibt oft viel Geld aus für irgendwelche Pillen,
Diagnosearmbänder oder spezielle Matratzen. Weltweit brachte das
Geschäft mit Schlafhilfen laut US-Marktforschern zuletzt jährlich
rund 70 Milliarden US-Dollar (etwa 63 Mrd. Euro) Umsatz, wie der SWR
im vergangenen Jahr berichtete.

Die Medizin habe den Schlaf lange quasi verschlafen, sagt Weeß. Es
sei angenommen worden, im Schlaf fahre der Körper alle Systeme
herunter, und das sei eher uninteressant. «Heute wissen wir, dass der
Schlaf ein hochaktiver Prozess und das wichtigste Reparaturprogramm
des Menschen ist.»

Schätzungen zufolge haben rund fünf Millionen Menschen in Deutschland
Ein- oder Durchschlafstörungen. In Klingenmünster suchen der
Psychologe Weeß und sein Team nach möglichen Ursachen. Im Analyseraum
laufen die Ergebnisse der Messungen als farbige Zackenlinien über
einen Bildschirm. Ein weiterer Monitor zeigt ein Kamerabild aus dem
Schlafzimmer. Wie unruhig schläft der Patient?

Problematisch ist es Weeß zufolge vor allem, Sorgen mit ins Bett zu
nehmen oder sich stark dem Druck auszusetzen, gut schlafen zu müssen.
«Nichts ist schlimmer, als das Gedankenkarussell nicht stoppen zu
können», sagt er. Und: «Wer schlafen will, bleibt wach.» Je mehr ma
n
sich auf Schlaf fokussiere, desto eher führe das zu Schlaflosigkeit.

Daneben gibt es Weeß zufolge gesellschaftliche Faktoren. «Wir sind
zur Non-Stopp-Gesellschaft geworden. Immer mehr arbeiten im
Schichtdienst oder lesen nachts Mails. Kinder gehen heute mit dem
Smartphone statt mit dem Kuscheltier ins Bett.» Nötig sei eine neue
Schlafkultur, denn «nur wer ausgeschlafen ist, kann Leistung
bringen». Es erstaune ihn immer wieder, wie wenig die meisten
Menschen über gutes Schlafverhalten wüssten.

Wie viel Schlaf ein Mensch brauche, sei individuell verschieden und
genetisch festgelegt, sagt der Neurologe Peter Young,
Vorstandsvorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung
und Schlafmedizin (DGSM). Die einen brauchten fünf, andere zehn
Stunden. «Dieser Bedarf verändert sich im Alter nicht zwangsläufig.
»

Gut einschlafen könnten überraschend viele Menschen vor dem
Fernseher, sagt Weeß. Die Aufmerksamkeit sei dann auf «ein wenig
stimulierendes Ereignis» gerichtet, zudem grüble der Zuschauer nicht,
was eine schlafförderliche Entspannung hervorrufe. «Empfehlen kann
ich es trotzdem nicht», so der Psychologe. «Vor dieser
Geräuschkulisse ist der Schlaf nicht tief und wenig erholsam.»