BKK beklagt zu viele Operationen - Kliniken auf den Prüfstand

Wird in Bayerns Krankenhäusern zu viel operiert? Der Landesverband
der Betriebskrankenkassen wagt sich an ein sensibles Thema - und
fordert eine Untersuchung durch die Staatsregierung.

München (dpa/lby) - Die bayerischen Betriebskrankenkassen
(BKK) beklagen eine Überversorgung und mangelnde Qualität zu Lasten
der Patienten in vielen Krankenhäusern. Nach Einschätzung des
BKK-Landesverbands haben wirtschaftliche Erfordernisse des
Krankenhausbetriebs dazu geführt, dass Patienten nicht notwendige
Therapien und Operationen verordnet werden.

«Schlimm ist, wenn die Behandlung nicht am Menschen ausgerichtet
wird, sondern an der Wirtschaftlichkeit», sagte Sigrid König, die
Vorsitzende des BKK-Landesverbands. «Das Gesundheitswesen gehört zur
Daseinsvorsorge, es darf nicht nach gewinnorientierten Grundsätzen
des "jeder der kann, der darf" organisiert sein.»

Der BKK-Landesverband, die AOK und mehrere weitere Kassen fordern von
der Staatsregierung eine Bestandsaufnahme der Krankenhausversorgung
und der Qualität der Versorgung. Vorbild ist Nordrhein-Westfalen, wo
die Landesregierung eine solche Untersuchung in Auftrag gegeben hatte
- Ergebnis war, dass es in den Städten teilweise Überversorgung, auf
dem Land hingegen eine Unterversorgung gibt. Das Düsseldorfer
Gesundheitsministerium stellte zudem fest, dass bestimmte Operationen
- etwa der Bauchspeicheldrüse und nach Herzinfarkten - häufig in
Krankenhäusern durchgeführt wurden, deren Chirurgen die empfohlene
Erfahrung fehlte.

Die Debatte ist nicht neu - im Freistaat weist die Bayerische
Krankenhausgesellschaft (BKG) Vorwürfe regelmäßig zurück und wirf
t
den Kritikern im Gegenzug Verunsicherung der Patienten vor. Die
Staatsregierung wiederum hat das Ziel, die Krankenhaus-Versorgung in
Bayern auszubauen.

«Wir haben zu viele Betten im städtischen Bereich», sagte König.
«Wir
haben sehr gute Häuser mit Maximalversorgung, aber wir haben auch
Krankenhäuser, in denen die Qualität der Versorgung nicht stimmt.»
Nach Königs Einschätzung ist dies in Teilen Folge des 2003
eingeführten Abrechnungssystems mit Fallpauschalen, im Fachjargon
DRG genannt. Die Vergütung der Krankenhäuser richtet sich nach der
Diagnosegruppe, in die ein Patient eingeordnet wird, es wird nicht
jede medizinische Leistung einzeln abgerechnet. Viele Krankenhäuser
in Deutschland schreiben rote Zahlen.

«Eine Folge des DRG-Abrechnungssystems ist, dass mehr operiert wird»,
sagte König. «Fünfzig Prozent der Patienten kommen über die
Notaufnahme ins Krankenhaus - und sie bleiben zum Teil, weil das
Krankenhaus ein wirtschaftliches Interesse daran hat, dass sie
bleiben.» Die Krankenhäuser hätten mehr Operateure eingestellt, aber

nicht gleichwertig mehr Pflegepersonal. «Die Folge all dieser
Entwicklungen sind Qualitätsmängel, und diese führen zu vermeidbaren

Todesfällen.»

König und andere Kritiker berufen sich dabei auch auf eine kürzlich
veröffentlichte Studie des Berliner Instituts für Gesundheits- und
Sozialforschung (IGES) im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung,
derzufolge deutschlandweit zu viel diagnostiziert und operiert wird.
«In München wurden laut Bertelsmann-Daten in 20 von 25
Krankenhäusern, die Herzinfarkte behandeln, weniger als die
empfohlenen 309 Behandlungen pro Jahr durchgeführt», sagte König.
«Von diesen 25 hatten 10 keinen Herzkathetermessplatz, der für eine
qualifizierte Behandlung notwendig ist.»

Ein weiteres Beispiel: «Achtzig bis neunzig Prozent der Menschen, die
an Rückenschmerzen leiden, haben unspezifische Ursachen», sagte
König. «Das heißt, nur 10 bis 20 Prozent haben eine feststellbare
somatische Ursache, wie eine Fraktur oder Bandscheibenvorfall.» Die
medizinischen Leitlinien sehen vor, dass nur dann operiert werden
soll, wenn alle konventionellen Therapieoptionen ausgeschöpft sind,
etwa die Physiotherapie. «Die Leitlinienempfehlung wird aber häufig
missachtet, und es wird ein wesentlich höherer Anteil operiert als
notwendig wäre», sagte König. Denn Kassen gehe es dabei nicht um
Kostensenkung, sondern um Verbesserung der Qualität.