Spahn will mehr Planbarkeit bei Pflege-Eigenanteilen Von Sascha Meyer, dpa

Im alternden Deutschland sind immer mehr Menschen auf Pflege
angewiesen. Und die Bedingungen sollen besser werden. Doch wer soll
das alles bezahlen? Der Minister sieht größeren Handlungsbedarf.

Berlin (dpa) - Bundesgesundheitsminister Jens Spahn plant einen
breiten Dialog zur künftigen Finanzierung der Pflege und strebt mehr
Berechenbarkeit bei Eigenanteilen für Pflegebedürftige an. «Wir
müssen noch einmal neu über die faire Verteilung der Pflegekosten
reden - was ist Verantwortung des Einzelnen und der Familie, was ist
Verantwortung der Gesellschaft», sagte der CDU-Politiker der
Deutschen Presse-Agentur. «Aus der Debatte soll eine Entscheidung
folgen, die klar macht: Es wird planbarer und verlässlicher, wie viel
eine Familie an Eigenanteilen einbringen muss.»

Spahn will bis Mitte kommenden Jahres einen Vorschlag zur
Pflege-Finanzierung vorlegen. In den ersten Monaten 2020 plant das
Ministerium dazu landesweit Veranstaltungen, Spahn will auch in der
CDU darüber diskutieren. Angesichts immer weiter steigender Kosten
für die Pflege wächst der Druck, die Finanzierung umzubauen.
Hintergrund ist, dass die Pflegeversicherung - anders als die
Krankenversicherung - nur einen Teil der Kosten trägt.

Derzeit müssen Heimbewohner für die eigentliche Pflege im
Bundesschnitt etwa 660 Euro zahlen. Dazu kommen noch Kosten für
Unterkunft, Verpflegung und auch für Investitionen in den
Einrichtungen. Insgesamt kommen im Bundesschnitt rund 1900 Euro an
Zahlungen aus eigener Tasche zusammen, es gibt aber erhebliche
regionale Unterschiede.

Spahn sagte: «Wenn eine Pflegebedürftigkeit über fünf oder sieben
Jahre geht, kommen schnell einige Zehntausend Euro zusammen. Es gibt
ein Bedürfnis, hier eine höhere Planbarkeit zu haben. Das möchte ich

aufnehmen.» Forderungen, die Pflegeversicherung solle die kompletten
Pflegekosten übernehmen, lehnte er ab. «Von der Idee einer
Vollversicherung halte ich nichts. Das entspricht nicht meinem
Gesellschafts- und Familienbild. Denn dann müsste die Familie keine
Verantwortung mehr für die Pflege ihrer Angehörigen tragen.»

Der Minister betonte: «Wenn es nicht mehr selbstverständlich ist,
dass wir uns umeinander kümmern, verliert unsere Gesellschaft den
Kitt, der sie zusammenhält.» Wenn jemand pflegebedürftig werde,
verändere das den ganzen Alltag einer Familie. «Das können wir nicht

wegreformieren. Wir können und wollen aber möglichst viel
Unterstützung geben.» Ihm sei wichtig, dass die Generationen
Verantwortung füreinander übernehmen. «Eine Vollversicherung wäre
deshalb das falsche gesellschaftliche Signal.»

Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, nannte
das Familienbild des Ministers idealisiert. Der dpa sagte er: «Die
Fakten zeigen, dass Großfamilien eine seltene Spezies sind und die
Single-Haushalte radikal zunehmen.» Gesellschaftliche Verantwortung
für Pflegebedürftige brauche praktische Antworten. Schließlich sei
die Zahl der pflegebedürftigen Sozialhilfeempfänger in Heimen im
letzten Jahr um sechs Prozent gestiegen. «Es ist auch falsch, von
einer Vollversicherung zu reden, wenn die Pflegekosten solidarisch
getragen würden. Schließlich müssen die Betroffenen weiterhin
Haushalt, Miete und Ernährung aus eigener Tasche zahlen.»

In der Debatte gibt es verschiedene Vorschläge - etwa auch zu
Bundeszuschüssen und zur Senkung oder Begrenzung der Eigenanteile.
Möglich wären außerdem höhere Beiträge. Steigende Kosten verursac
hen
auch höhere Löhne, die die Regierung im Ringen um dringend benötigte

Pflegekräfte durchsetzen will. Die Pflegeausgaben steigen zudem wegen
der alternden Gesellschaft. Die Zahl der Leistungsempfänger wuchs
nach Angaben der gesetzlichen Krankenversicherung im vergangenen Jahr
auf 3,7 Millionen - 10,4 Prozent mehr als 2017. Die Ausgaben der
Pflegeversicherung stiegen um 7,6 Prozent auf 38,2 Milliarden Euro.

Der Sprecher des Spitzenverbands der gesetzlichen
Krankenversicherung, Florian Lanz, sagte der dpa, bei den
Eigenanteilen für einen Heimplatz sei das Ende der Fahnenstange
erreicht. Bund und Länder stünden jetzt in der Verantwortung, ihren
Teil zur Finanzierung der Pflege beizutragen.

Spahn betonte, er sei als Minister für Gesundheit und Pflege «der
größte Unterstützer» einer wachstumsfördernden Wirtschaftspolitik
.
«Denn egal, wer in zehn, zwanzig Jahren Gesundheitsminister ist, wir
werden dieses System nur dann erhalten können, wenn wir immer noch
erfolgreich Autos, Maschinen und andere Produkte in die Welt
verkaufen.» Nötig sei vor allem starkes Wachstum der Produktivität,
weil weniger Menschen noch mehr Wohlstand generieren müssten. «Wir
müssen Digitalweltmeister werden und werden wollen, schon unserer
Rente und Pflege wegen.»