Gerüchte und Wahrheiten zur Masernimpfung Von Ulrike von Leszczynski, dpa

Soll ich mein Kind gegen Masern impfen lassen? Diese Entscheidung
will der Bundestag Eltern mit einer Pflicht beim Besuch von
Kindergärten und Schulen abnehmen. Viele sind trotzdem verunsichert.
Einige Fakten für den Durchblick.

Berlin (dpa) - Mit einer Impfpflicht in Kindergärten und Schulen
sollen Masern-Erkrankungen in Deutschland im kommenden Jahr stärker
eingedämmt werden. Der Bundestag beschloss am Donnerstag ein Gesetz
von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Denn mancherorts sind zu
wenige Kinder immunisiert. Doch auch bei Erwachsenen gibt es
Impflücken. Geht es ums Masern, wird es auch schnell emotional.
Argumente von Impfbefürworten treffen auf Äußerungen von Impfgegnern.

Was stimmt und was stimmt nicht?

BEHAUPTUNG: Masern muss man durchmachen, das stärkt auch den Körper.

BEWERTUNG: Das ist falsch.

FAKTEN: Masern sind keinesfalls harmlos. Ein Drittel bis zur Hälfte
der Fälle, die bisher an das Robert Koch-Institut gemeldet wurden,
mussten im Krankenhaus behandelt werden. Denn Masernviren
unterdrücken die Immunabwehr, so dass andere Krankheitserreger zum
Zug kommen und zum Beispiel eine Lungenentzündung verursachen können.
Pro Jahr werden in Deutschland laut Gesundheitsberichterstattung
durchschnittlich 4 bis 7 Todesfälle registriert, die auf eine
Maserninfektion zurückzuführen sind. Vor Einführung der Impfung
wurden in Deutschland um die 100 Todesfälle pro Jahr registriert.

BEHAUPTUNG: Sein Kind impfen zu lassen, hilft der Gesellschaft.

BEWERTUNG: Das stimmt.

FAKTEN: Der Gemeinschaftsschutz, die sogenannte Herdenimmunität, ist
nach Angaben auf den Internetseiten des Robert Koch-Instituts (RKI)
ein wichtiger Vorteil beim Impfen. Ein Mensch schütze auch mit einer
Masernimpfung nicht nur sich selbst, sondern indirekt auch die
anderen. Wenn ausreichend viele Menschen gegen Masern geimpft seien,
könne sich der Erreger nicht mehr in der Bevölkerung verbreiten. Erst
dann seien auch Säuglinge oder Schwangere geschützt, die zum Beispiel
nicht gegen Masern geimpft werden können. Noch ist das nicht der
Fall. Die Impflücken bei Masern sind nach Angaben des RKI weiterhin
zu groß. Zwar haben nach den jüngsten Zahlen für 2017 rund 97 Prozent

der Schulanfänger die erste Impfung bekommen. Aber bei der
entscheidenden zweiten Masernimpfung wird auf Bundesebene die
gewünschte Impfquote von 95 Prozent noch immer nicht erreicht. Sie
liegt bei rund 93 Prozent. 2018 registrierte das RKI 543
Masernerkrankungen, im laufenden Jahr sind es bereits mehr als 300
Fälle. Fast die Hälfte der Erkrankten sind junge Erwachsene. «Das
weist auf die großen Impflücken in diesen Altersgruppen hin», betont

RKI-Präsident Lothar Wieler.

BEHAUPTUNG: Wenn man sich gegen Masern impfen lässt, kann man erst
recht krank werden.

BEWERTUNG: Das ist selten, kann aber passieren.

FAKTEN: Eine Masern-Impfung enthält einen Lebendimpfstoff, der eine
abgeschwächte Variante des Erregers enthält. «Dieser Erreger kann
sich begrenzt vermehren», sagt Klaus Cichutek, Präsident des
Paul-Ehrlich-Instituts. Die Infektionskrankheit selbst, die Masern,
könne er aber nicht mehr auslösen. Bei der Impfung gegen die Masern
gebe es jedoch eine Besonderheit. So zeigten etwa 5 bis 15 Prozent
der Geimpften besonders nach der ersten Masern-Immunisierung eine
Reaktion mit mäßigem Fieber, flüchtigem Ausschlag und Symptomen im
Bereich der Atemwege, gelegentlich begleitet von einem
maserntypischen Ausschlag. Meist passiere das in der zweiten Woche
nach der Impfung. Diese Reaktion wird als «Impfmasern» bezeichnet.
Diese seien aber nicht ansteckend und verursachten nur milde
Symptome, die von selbst abklingen, ergänzte Cichutek. Im Vergleich
zu den Spätfolgen von echten Masern, die in seltenen Fällen auch zum
Tod von Kindern führen können, seien die Impfmasern unangenehm, aber
nicht gefährlich.

BEHAUPTUNG: Eine Masern-Impfung kann Autismus verursachen.

BEWERTUNG: Das ist falsch.

FAKTEN: «Das Gerücht, insbesondere die Masernimpfung könne Autismus
verursachen, geht auf eine Untersuchung an nur zwölf Kindern zurück»,

sagt Klaus Cichutek, Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts. Die Studie
eines britischen Arztes sei jedoch methodisch so fehlerhaft gewesen,
dass das Fachmagazin «The Lancet» die Veröffentlichung aus dem Jahr
1998 im Jahr 2011 zurückgezogen habe. Der Autor hat seine Zulassung
als Arzt in Großbritannien verloren. Unter anderem, weil ihm
Interessenkonflikte nachgewiesen worden seien. «Es gibt keine
Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen Impfstoffen und Autismus»,
betonte Cichutek.

BEHAUPTUNG: Wenn Frauen vor einer Schwangerschaft gegen Masern
geimpft sind, schützt das auch ihr Baby.

BEWERTUNG: Das gilt mit Einschränkungen.

FAKTEN: Vor der Geburt werden schützende Antikörper von der Mutter
auf das Kind übertragen. Neugeborene haben damit laut den
Internetseiten des Robert Koch-Instituts gegen diese Erreger einen
gewissen Schutz. Stillen unterstütze diesen Nestschutz. Bei
Krankheiten wie Masern stimuliere die Impfung das Immunsystem der
Mutter allerdings weniger stark als eine frühere natürliche
Infektion.

BEHAUPTUNG: Eine Masern-Impfung belastet das Immunsystem von kleinen
Kindern viel zu stark, weil es noch nicht voll ausgereift ist.

BEWERTUNG: Das ist falsch.

FAKTEN: «Das Immunsystem von kleinen Kindern ist dafür ausgerüstet,
sich mit Krankheitserregern auseinanderzusetzen», sagt Klaus
Cichutek, Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts. Das Immunsystem des
Menschen entwickle sich durch Training. «Dieses Training sollte so
früh wie möglich beginnen, und zwar mit einem ungefährlichen
Trainingspartner», ergänzt er. Im Fall der Masern sei der empfohlene
Zeitpunkt ungefähr nach zwölf Monaten, in Ausnahmefällen auch schon
nach neun Monaten. Echte Krankheitserreger seien ohne ein trainiertes
Immunsystem sehr gefährlich, zum Teil lebensgefährlich.

BEHAUPTUNG: Die Masern-Impfung kann auch vor bestimmten anderen
Krankheiten oder Folgeerscheinungen schützen.

BEWERTUNG: Das ist richtig.

FAKTEN: Impfungen können nach den Erkenntnissen des Robert
Koch-Instituts nicht nur vor der Erkrankung selbst, sondern auch vor
Komplikationen und Folgeerscheinungen schützen. Bei Masern werden
Hirnhautentzündungen vermieden, die durch Masernviren ausgelöst
werden. Oder Lungenentzündungen, die entstehen können, wenn
Masernviren das Immunsystem für eine gewisse Zeit schwächen.

BEHAUPTUNG: Eine Masernimpfung bietet keinen hundertprozentigen
Schutz.

BEWERTUNG: Das ist richtig.

FAKTEN: Keine Impfung kann nach Angaben des Robert Koch-Instituts
eine hundertprozentige Wirksamkeit garantieren. Die zweifache
Kombinationsimpfung gegen Masern, Mumps und Röteln verhindert jedoch
bei 93 bis 99 Prozent der Geimpften den Ausbruch einer Erkrankung.
Der kleine Piks führt bei erfolgreich Geimpften in der Regel zu
lebenslanger Immunität. Dafür spricht auch, dass relevante
Masernausbrüche unter Geimpften bisher nicht aufgetreten sind. Der
überwiegende Anteil der Masernfälle in Deutschland betrifft
Ungeimpfte und Menschen, die nur eine Masernimpfung erhielten.