Schlag auf Parkplatz löste «Fall Tugce» aus - Debatte um Zivilcourage Von Isabell Scheuplein, dpa

Vor fünf Jahren fiel die Studentin Tugce Albayrak nach einem heftigen
Schlag gegen den Kopf auf einem Parkplatz ins Koma, aus dem sie nicht
mehr aufwachte. Der Täter wurde verurteilt und abgeschoben. Der Fall
löste heftige Diskussionen aus und bewegte Millionen.

Frankfurt/Offenbach (dpa) - Das Schnellrestaurant an der Stadtgrenze
von Frankfurt zu Offenbach ist zurzeit umzingelt von Baustellen. Auf
dem Parkplatz hinter dem Gebäude schlug vor fünf Jahren ein junger
Mann die Studentin Tugce Albayrak so heftig, dass sie an den Folgen
starb. Ihr Tod knapp zwei Wochen später löste bundesweit große
Anteilnahme aus. Von den vielen Blumen und Kerzen, die auch vor dem
Fast-Food-Restaurant am Kaiserleikreisel abgelegt worden waren, ist
nichts mehr zu sehen. Ein Gewirr an rot-weiß-gestreiften
Baustellenabsperrungen bestimmt das Bild.

Es war der 23. Geburtstag der Studentin, an dem ihre Eltern im Jahr
2014 die lebenserhaltenden Geräte im Offenbacher Klinikum abstellen
ließen. Schon Tage zuvor hatten Mediziner den Hirntod infolge der
schweren Kopfverletzung festgestellt, die ihre Tochter auf dem
Restaurantparkplatz erlitten hatte. Rund 1500 Menschen versammelten
sich vor dem Klinikgebäude, viele hatten Kerzen angezündet, Medien im
In- und Ausland berichteten. Verurteilt für die Tat vom 15. November
2014 wurde ein in Offenbach geborener, damals gerade 18-jähriger
Serbe.

Die Gewalttat im Morgengrauen löste heftige Debatten über
Jugendkriminalität und Zivilcourage aus. Denn die Studentin soll in
dieser Nacht im Toilettenbereich des Restaurants zwei 13-jährigen
Mädchen beigestanden haben, die unter anderem vom späteren Täter
belästigt worden seien, wie es hieß. Darauf kam es zum Streit, der in
dem verhängnisvollen Schlag gipfelte. Tugce Albayrak wurde zu einer
Symbolfigur für Zivilcourage und sogar für das Bundesverdienstkreuz
vorgeschlagen. Ihr Foto prangte auf Titelseiten und T-Shirts,
bundesweit wurden Mahnwachen organisiert.

Später kamen Zweifel auf, und im Prozess vor dem Darmstädter
Landgericht wurde deutlich: Die junge Frau gehörte zu einer Gruppe,
die mit der Gruppe des späteren Täters heftig aneinandergeraten war.
Mit Beleidigungen und Provokationen wurde nicht gespart, auch die
22-Jährige machte dabei mit. Ob die 13-Jährigen ihre Hilfe
tatsächlich brauchten, blieb offen. Aus diesem Grund entschied sich
das Bundespräsidialamt schließlich gegen die posthume Vergabe des
Verdienstkreuzes.

«Dieser Verlust ist durch kein Urteil dieser Welt wieder
auszugleichen», sagte der Vorsitzende Richter am Darmstädter
Landgericht, als er im Juni 2015 das Strafmaß gegen den Täter Sanel
M. verkündete: drei Jahre Jugendhaft wegen Körperverletzung mit
Todesfolge. Der Täter habe den Tod der 22-Jährigen nicht
beabsichtigt. Doch wer so heftig zuschlage, «der nimmt die
Körperverletzung in Kauf», sagte der Richter.

Im April 2017, fast zweieinhalb Jahre nach der Attacke, wurde Sanel
M. per Sammelflug nach Serbien abgeschoben. Dort leben nach Auskunft
der Anwälte seine Großeltern. Zuvor waren er und seine Anwälte vor
mehreren Gerichten mit Einsprüchen gescheitert. Es wurde ein
achtjähriges Wiedereinreiseverbot nach Deutschland verhängt.

An die Deutsch- und Ethik-Studentin erinnert ein Gedenkstein an der
Universität Gießen, die sie besuchte. Auf dem Parkplatz an der
Offenbacher Fast-Food-Filiale wurde eine Gedenktafel angebracht,
ebenso wie an ihrem Geburtskrankenhaus in Bad Soden-Salmünster.

Die Erinnerung halten Familie und Freunde auch mit einem
gemeinnützigen Verein wach, der «für eine bessere Welt einstehen»
soll, wie es auf der Homepage heißt: «Dieser Verein soll dazu
beitragen, dass Gewalt in der Gesellschaft ganz unten steht und
Nächstenliebe ganz oben.» Neben Schulprojekten zum Thema
Gewaltprävention organisierte der Verein im August einen
Charity-Lauf, die Erlöse waren für Anti-Gewaltprojekte bestimmt.