Durchbruch bei Grundrente - Bis zu 1,5 Millionen profitieren

Lange leisteten sich Union und SPD einen erbitterten Streit um die
Grundrente - nun einigen sie sich auf ein Modell. Dabei schmiedet die
Koalition auch weitere milliardenschweren Pläne.

Berlin (dpa) - Einigung nach monatelangem Koalitionsstreit:
Hunderttausende Bezieher kleiner Renten sollen ab 2021 eine
Grundrente bekommen. Zwischen 1,2 und 1,5 Millionen Menschen sollen
den Rentenaufschlag erhalten, wie die SPD-Interimschefin Malu Dreyer
am Sonntag nach einer Sitzung des Koalitionsausschusses in Berlin
sagte. Zudem sollen Investitionen in Digitalisierung und Klimaschutz
stärker gefördert werden. Darauf einigten sich die Spitzen der
Koalition am Sonntag nach mehr als sechsstündigen Verhandlungen im
Kanzleramt.

Vorangegangen war ein monatelanger Streit um die Grundrente. Im
Koalitionsvertrag war festgehalten, dass die Menschen ab 35
Beitragsjahren mit dem Zuschlag nach einer Bedürftigkeitsprüfung zehn
Prozent über der Grundsicherung liegen sollten. Hiervon weicht der
Kompromiss nun ab: Stattfinden soll eine umfassende
Einkommensprüfung. Dabei soll ein Freibetrag gelten. Gezahlt werden
soll die Grundrente bis zu einem Einkommen zuzüglich Rente und
Kapitalerträgen von 1250 Euro bei Alleinstehenden und 1950 Euro bei
Paaren. Die Einkommensprüfung soll «automatisiert und
bürgerfreundlich» durch einen Datenaustausch zwischen
Rentenversicherung und Finanzämtern erfolgen.

Den Zuschlag bekommt, wer 35 Jahre mit Beiträgen aus Arbeit, Pflege
oder Erziehung aufweist, aber nur wenig verdient hat. Der SPD war
wichtig, dass möglichst viele Menschen niedrige Bezüge mit der
Grundrente aufbessern. Für die Union war zentral, dass sie nicht nach
dem Gießkannenprinzip ausgeschüttet wird. Arbeitsminister Hubertus
Heil (SPD) hatte ursprünglich ein Konzept vorgelegt, nach dem das
Projekt bis zu 4,8 Milliarden Euro kosten und drei Millionen Menschen
zugutekommen sollte. Nun sollen die Kosten laut CSU-Chef Markus Söder
bei 1 bis 1,5 Milliarden Euro liegen. Finanziert werden soll dies
ausschließlich aus Steuermitteln - etwa durch die geplante
Finanztransaktionssteuer.

Mit der Grundrente werden die Entgeltpunkte aufgewertet. Über die
Entgeltpunkte wird die Rente errechnet - ein Durchschnittsverdiener
bekommt pro Jahr einen Punkt. Für jeden Punkt gibt es derzeit im
Westen 33,05 Euro Rente und im Osten 31,89 Euro. Wenn die
Entgeltpunkte im Schnitt der 35 Jahre nur zwischen 0,3 und 0,8
liegen, werden diese mit der Grundrente nun auf maximal 0,8 erhöht.

Zu dem Modell gehört auch, dass Rentner mit Grundsicherung ab 35
Beitragsjahren einen Freibetrag für die Rente von 100 Euro plus 30
Prozent der darüberliegenden Rentenansprüche bis zu einer bestimmten
Grenze erhalten. Flankierend zur Grundrente will die Koalition zudem
einen Freibetrag beim Wohngeld im Volumen von etwa 80 Millionen Euro
einführen: Die Verbesserung in der Rente soll nicht durch eine
Kürzung des Wohngeldes aufgefressen wird.

Das Paket umfasst zudem eine vorübergehende Senkung des Beitrags zur
Arbeitslosenversicherung: Er soll befristet bis Ende 2022 von 2,5 auf
2,4 Prozent sinken. Bereits beschlossen war aber, dass er danach
wieder auf 2,6 Prozent steigt.

Vorgesehen sind auch Verbesserungen bei der betrieblichen
Altersversorgung. Bei Geringverdienern mit einem Monatseinkommen bis
2200 Euro brutto soll der Förderbetrag von maximal 144 Euro auf 288
Euro verdoppelt werden. Betriebsrentner sollen zudem in Höhe von
insgesamt 1,2 Milliarden Euro bei den Krankenkassenbeiträgen
entlastet werden. Um die Attraktivität von
Mitarbeiter-Kapitalbeteiligungen zur Vermögensbildung zu erhöhen,
wollen Union und SPD auch den steuerfreien Höchstbetrag in diesem
Bereich von 360 Euro auf 720 Euro anheben.

Zur Ankurbelung von Investitionen soll bei der Kreditanstalt für
Wiederaufbau einen Beteiligungsfonds für Zukunftstechnologien von bis
zu 10 Milliarden Euro aufgelegt werden - insbesondere in den
Bereichen Digitalisierung und Klimatechnologien.

CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer sprach von einem wichtigen
Beitrag im Kampf gegen Altersarmut. Man habe nach langen
Verhandlungen einen dicken Knoten durchgeschlagen. «Es ist ein gutes,
ein vertretbares Ergebnis», sagte sie. Söder mahnte: «Damit ist aus
meiner Sicht auch die Halbzeitbilanz der GroKo abgerundet, und zwar
perfekt abgerundet. Aus meiner Sicht gibt es jetzt auch keinen Grund
mehr, über den Fortbestand zu diskutieren.» Dreyer sprach von einem
«sozialpolitischen Meilenstein». Die Lebensleistung der Menschen
werde honoriert. Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) sagte der Deutschen
Presse-Agentur: «Deutschland bekommt eine Grundrente, sozial und
gerecht.»

Die Opposition kritisierte die geplante Grundrente: Der
FDP-Rentenexperte Johannes Vogel sagte, sie gehe «voll zu Lasten der
Jüngeren». Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt verlangte i
n
den Zeitungen der Funke-Mediengruppe Nachbesserungen. So sollte die
Grundrente schon nach 30 Beitragsjahren gezahlt werden.
Linksfraktionschef Dietmar Bartsch sagte den Zeitungen, viel weniger
Menschen würden profitieren, als von Heil ursprünglich vorgesehen.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund, die Gewerkschaft Verdi und der
Sozialverband VdK begrüßten die Einigung hingegen.