Union und SPD ringen weiter um Grundrente - Spitzentreffen verschoben

Seit Monaten verhandeln CDU, CSU und SPD über die milliardenschwere
Grundrente. Am Montag sollten eigentlich die Koalitionsspitzen
beraten, eine Entscheidung stand im Raum. Die Parteien aber sind von
einer Einigung offenbar noch entfernt.

Berlin (dpa) - Millionen von Menschen mit Minirenten müssen weiter
auf eine Entscheidung der schwarz-roten Koalition über einen
Aufschlag warten. Ein für Montagabend geplantes Spitzentreffen der
Koalition zur Grundrente wurde überraschend auf den kommenden Sonntag
verschoben - es gebe noch offene Punkte, die im Laufe dieser Woche
sorgfältig geklärt werden sollten, teilte die CDU am
Sonntagnachmittag mit.

Die SPD bestätigte die Verschiebung. Ein Sprecher sagte: «Die
Arbeitsgruppe hatte sehr gute Vorarbeit geleistet, aber es gibt noch
Klärungsbedarf. Die SPD bleibt zuversichtlich, dass es zu einer
Einigung kommt.» Ein CDU-Sprecher sagte, die Arbeitsgruppe der
Koalition habe wichtige Vorarbeiten geleistet und Positionen
aufeinander zubewegt. Es gebe aber noch offene Punkte.

Wie die Deutsche Presse-Agentur aus SPD-Kreisen erfuhr, ging die
Verschiebung des Spitzentreffens von der Union aus. Offen war
zunächst, ob es bis zum am Sonntag geplanten Treffen vorher noch eine
Sitzung der Koalitionsarbeitsgruppe gibt.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier bezeichnete die Verschiebung
des Treffens als «gute und richtige Entscheidung». «Nur mit einer
soliden und nachhaltigen Finanzierung und Klarheit bei der
Bedürftigkeits-Prüfung ist ein Fortschritt möglich», schrieb der
CDU-Politiker am Sonntagabend auf Twitter. Der CDU-Außenexperte
Norbert Röttgen sagte in der ZDF-Sendung «Berlin direkt»: «Für un
s
ist es eine Grundsatzfrage, ob wir zum ersten Mal eine
Sozialleistung, die von der Solidarität der Steuerzahler finanziert
wird, von der Bedürftigkeit des Betreffenden, der die Sozialleistung
bekommt abkoppeln.» Das wäre eine «grundsätzlich falsche
Weichenstellung», warnte Röttgen.

Am Wochenende hatten führende Unionspolitiker bei den Verhandlungen
zur Grundrente auf eine strenge Bedürftigkeitsprüfung gepocht. Sie
wollen im Gegenzug für einen Aufschlag auf Minirenten angesichts der
Abkühlung der Konjunktur außerdem steuerliche Entlastungen für
Firmen.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte Bedingungen genannt,
damit es zu einer Einigung bei der Grundrente kommen kann und
Berichte über einen ersten Kompromiss zurückgewiesen. «Geeinigt ist
nichts.» Spahn schrieb am Samstag auf Twitter, es müsse bei der
Grundrente eine «harte Einkommensprüfung» als Bedürftigkeitsprüfu
ng
geben - so dass nur Rentner unterstützt werden, die trotz mehr als 35
Jahren Arbeit sehr wenig zum Leben hätten. Rentner mit Mieteinnahmen
gehörten nicht dazu.

Zudem müsse das Gesamtvolumen gegenüber künftigen Generationen
verantwortbar sein. «Jede Milliarden-Summe, die die SPD bis heute
genannt hat, ist es nicht», schrieb Spahn, der Mitglied der
Arbeitsgruppe ist. Drittens müssten gleichzeitig konkrete Maßnahmen
für mehr Wirtschaftswachstum vereinbart werden, etwa eine Senkung der
Unternehmenssteuern. Eine wettbewerbsfähige Wirtschaft sei die
Voraussetzung für jede Rente. «Vor dem Verteilen kommt immer das
Erwirtschaften.»

Der Vorsitzende der «Jungen Gruppe» in der Unions-Fraktion, Mark
Hauptmann, sagte dem «ZDF-Hauptstadtstudio» am Sonntag: «Wir als
'Junge Gruppe' lehnen eine Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung ab,
weil diese weder sozial noch gerecht ist. Es werden die Kosten einer
jungen Generation für viele Jahre in die Zukunft aufgebürdet - und es
werden neue Ungerechtigkeiten geschaffen.» Die Union sollte sich
keinen Millimeter wegbewegen von dem, was im Koalitionsvertrag
vereinbart sei, nämlich eine Grundrente mit Bedürftigkeitsprüfung.

Die kommissarische SPD-Vorsitzende Malu Dreyer hatte sich
zuversichtlich gezeigt, dass es bald eine Einigung geben könne. Auch
Dreyer nannte aber Bedingungen. Die rheinland-pfälzische
Ministerpräsidentin sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe: «Die
Grundrente soll für mehr Gerechtigkeit sorgen und automatisch gezahlt
werden.» Niemand solle «zum Amt gehen und einen riesigen Stapel an
Formularen ausfüllen müssen». Der SPD gehe es nicht um eine
Sozialleistung, sondern um die Anerkennung von Lebensleistung. Wer 35
Jahre für einen geringen Lohn gearbeitet habe, müsse im Alter mehr
haben als die Grundsicherung.

Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder bekräftigte in
der «Welt am Sonntag» die Forderung, es müsse eine international
vergleichbare Senkung der Unternehmenssteuer geben. «Davon hängt die
Wettbewerbsfähigkeit und die Stabilisierung der Konjunktur ab.» Die
Konjunktur in Deutschland hat sich abgekühlt. Söder hatte aber
zugleich gesagt, es gebe gute Aussichten, dass es im
Koalitionsausschuss eine Einigung gebe. «Letztlich geht es um die
Gesamtsumme der Kosten und die Strukturen für die Grundrente.»

Die Arbeitsgruppe der Koalition hatte bis zum frühen Freitagmorgen
getagt. Danach erfuhr die Deutsche Presse-Agentur aus
Koalitionskreisen, zwar solle auf das Wort «Bedürftigkeitsprüfung»

verzichtet werden - die Finanzämter sollten aber «das zu versteuernde
Einkommen» den Berechnungen zugrunde legen. Das könnte bedeuten, dass
steuerpflichtige Einkünfte aus Kapitalerträgen oder aus Mieten und
Verpachtungen mitberücksichtigt werden.

Einigkeit besteht darüber, dass alle, die 35 Jahre an Beitragszeiten
aufweisen, eine Rente zehn Prozent oberhalb der Grundsicherung
bekommen. Das war auch im Koalitionsvertrag vereinbart. Allerdings
streiten Union und SPD seit Monaten darüber, wer genau den
Rentenaufschlag erhalten soll. Die Union pocht auf die im
Koalitionsvertrag vereinbarte Prüfung der tatsächlichen
Bedürftigkeit, die SPD lehnt dies ab.

Die Gesamtkosten für die Grundrente sollten unter zwei Milliarden
Euro bleiben. Darauf hatte nach dpa-Informationen die Union gepocht.
Der SPD war wichtig, dass möglichst viele Menschen erreicht werden,
zuletzt sollten es noch etwa 1,5 Millionen sein. Mit der Grundrente
sollen Menschen, die trotz langer Beitragszeit nur sehr wenig Rente
bekommen, einen Zuschlag erhalten.

Voraussetzung für die Grundrente sollte laut Koalitionsvertrag eine
Bedürftigkeitsprüfung entsprechend der Grundsicherung sein. Die Union
wollte die im Koalitionsvertrag vereinbarte Prüfung der tatsächlichen
Bedürftigkeit gewährleistet sehen. Die SPD lehnte eine solche Prüfung

dann aber ab. Dem Vernehmen nach soll vor allem die CDU bis zuletzt
Vorbehalte gehabt haben.

Der FDP-Arbeitsmarktexperte Johannes Vogel nannte die Verschiebung
des Koalitionsausschuss eine Bankrotterklärung für die Koalition.
«Union und SPD sollten sich endlich eingestehen, dass sie sich bei
dieser wichtigen Frage in einem schlechten Modell völlig verrannt
hätten.