Zehn Jahre nach dem Enke-Tod: Teresa Enkes Weg zurück ins Leben Von Claas Hennig, Sebastian Stiekel und Lars Reinefeld, dpa

Der Suizid von Robert Enke vor zehn Jahren schockiert nicht nur die
Fußball-Szene. Seine Frau Teresa Enke kämpft seitdem um Aufklärung

über die Volkskrankheit Depression. Es ist auch Teil ihrer
Trauerarbeit, mit der sie ins Leben zurückgefunden hat.

Hannover (dpa) - Beinahe täglich kommt Teresa Enke an der Straße
vorbei, die den Namen ihres Mannes trägt. Die Robert-Enke-Straße in
Hannover liegt auf dem Weg zur Schule ihrer Tochter Leila. Sie führt
direkt an der HDI-Arena vorbei, dem früheren Niedersachsenstadion.

In dem Stadion wurde Teresa Enkes Mann als Torwart von Hannover 96
von den Fans geachtet, gefeiert und verehrt. Und dort nahmen an einem
Herbst-Sonntag vor zehn Jahren fast 40 000 Menschen in einer
Trauerfeier Abschied von ihm. Fünf Tage zuvor hatte Robert Enke am
10. November 2009 seinem Leben an einem Bahnübergang in Eilvese im
Alter von 32 Jahren ein Ende gesetzt.

Teresa Enke steht auf einem Vorplatz am Stadion, ganz in der Nähe des
Maschsees. Vor zwei Jahren ist sie nach Hannover zurückgekehrt,
nachdem sie sechs Jahre lang in Köln lebte. «In der ersten Zeit war
das schwer, weil die Erinnerungen sehr schmerzhaft waren und ich
solche Plätze deshalb auch gemieden habe», erzählt die 43-Jährige i
m
Interview der Deutschen Presse-Agentur. «Aber der Mensch ist ein
Gewohnheitstier, und irgendwann prallt einem das nicht mehr so
entgegen.»

Wie eine Schockwelle erfasst die Nachricht von Robert Enkes Suizid
vor zehn Jahren beinahe eine ganze Nation. Sein Tod erschüttert und
verstört die Menschen, ist für viele unfassbar und unwirklich. Noch
zwei Tage zuvor hatte er - Deutschlands angehende Nummer eins für die
WM 2010 - beim 2:2 von Hannover 96 gegen den Hamburger SV im Tor
gestanden.

Seine letzten Worten im TV-Interview erhalten plötzlich eine eigene
Deutung: «Es ist okay so. Es ist alles gesagt.» Dabei geht es nur um
die anstehenden Länderspiele gegen Chile und die Elfenbeinküste, bei
denen er nach Absprache nicht dabei ist.

Die drängende Frage nach dem Warum seines Suizids beantwortet Teresa
Enke keine 24 Stunden nach der Tragödie. In einer Pressekonferenz
berichtet sie über die Depressionen ihres Mannes, seine Seelenqual,
seine Ängste vor Entdeckung, vor Versagen. Sie spricht von seiner
Furcht, dass ihnen wegen seiner Krankheit die neun Monate alte
Adoptivtochter Leila weggenommen werden könnte. «Wir dachten halt
auch, mit Liebe geht das. Aber man schafft es doch nicht, immer»,
sagt sie vor den Kameras - und rührt die Menschen.

Was in den Tagen nach Robert Enkes Tod passiert, ist für die deutsche
Sport-Welt einmalig. Das Ausmaß der Trauer erinnert an Tragödien wie
die um Lady Di oder den Tod von Popstars. Das DFB-Team erfährt beim
Abendessen vom Unglück in seinem Quartier in Bonn.

«Wo ich die Nachricht überbracht habe, war eine ganz komische
Energie. Man hat gemerkt, wie keiner mehr wusste, was er machen
sollte», erinnert sich DFB-Direktor und Teammanager Oliver Bierhoff
im NDR-Film «Robert Enke - auch Helden haben Depressionen». Das
Länderspiel gegen Chile wird abgesagt. Bierhoff bricht bei der
Pressekonferenz in Tränen aus.

An einer Andacht einen Tag nach Enkes Tod nehmen in und vor der
Marktkirche in Hannover über 3500 Menschen teil. Anschließend gehen
35 000 Trauernde in einem Marsch durch Hannover. Zur Trauerfeier
wenige Tage später kommt Politprominenz wie Bundesinnenminister
Thomas de Maizière und Niedersachsens Ministerpräsident Christian
Wulff. Die Trauerfeier ist die größte, seit dem Tod des ersten
Bundeskanzlers Konrad Adenauer 1967. Der damalige DFB-Präsident Theo
Zwanziger hält eine viel beachtete Rede. Seine Mahnung ist deutlich:
«Fußball ist nicht alles.»

Robert Enke wird zum Helden verklärt. Hartnäckig hält sich bis heute

das Bild von dem Mann, der am gnadenlosen System Profi-Fußball
zugrunde geht. Gegen diesen Mythos setzt Teresa Enke von Beginn an
einen Gegenentwurf.

Es sei nicht der Fußball gewesen, «der ihn kaputt gemacht hat», sagt

sie und betont auch heute: «Er war kein unglücklicher Mensch. Er
hatte seine Krankheit, seine depressiven Phasen. Und er war
vielleicht auch kein extrovertierter Mensch. Aber er war trotzdem ein
lustiger Geselle und jemand, mit dem man viel Spaß haben konnte.»

Für ihre Haltung wird Teresa Enke damals wie heute bewundert - eine
Frau, deren Mann tragisch stirbt und die schon drei Jahre zuvor mit
dem Tod ihrer zweijährigen Tochter Lara einen ersten Schicksalsschlag
hinnehmen muss. Ein Jahr nach der Pressekonferenz erhält sie den
Leibniz-Ring des Presseclubs Hannover für ihren Auftritt. «Ich wurde
auf einen Sockel gestellt, den ich mir selbst gar nicht zugesprochen
hätte», sagt sie rückblickend. Sie sei gar nicht so stark gewesen.

Letztlich war sie einfach eine Witwe, die um ihren Mann trauerte.
Teresa Enke entsprach dem heute gängigen Klischee einer Spielerfrau
ebenso wenig wie Robert Enke dem des glamourösen Stars. Beide suchten
nie das Rampenlicht, lebten zurückgezogen mit ihren Hunden auf dem
umgebauten Bauernhof in Empede bei Hannover.

Er engagierte sich, dachte an andere, schenkte Konkurrenten
Torwart-Handschuhe. Er rief den noch jungen Torhüter Sven Ulreich vom
VfB Stuttgart an, sprach ihm Mut zu, nachdem dieser öffentlich von
seinem Trainer Armin Veh kritisiert wurde.

Irgendwann nach der Trauerfeier, der Beisetzung und dem medialen
Sturm kommt für Teresa Enke die dröhnende Stille. «Man war davor eine

Familie - und ist auf einmal allein. Ich bin an das Grab gegangen,
und da standen zwei Namen drauf», sagt sie. Bevor sie zwei Jahre
später nach Köln zieht, nimmt sie sich mit ihrer Tochter eine
Auszeit. In Köln beginnt sie, sich langsam ins Leben zurück zu
tasten.

Ein wichtiger Schritt für ihre persönliche Trauerarbeit ist 2010 die
Gründung der Robert-Enke-Stiftung. Träger sind der DFB, die Deutsche
Fußball Liga und Hannover 96. Sie wird Vorstandschefin und ist bis
heute das Gesicht der Stiftung. Sie gibt Interviews, bemüht sich um
Aufklärung über die längst als Volkskrankheit eingestufte Depression.

Sie will die Enttabuisierung der Depressionen.

Im Vorfeld des zehnten Todestag machen sie und die Stiftung verstärkt
auf die Krankheit aufmerksam. Gemeinsam mit Bundesgesundheitsminister
Jens Spahn stellt Teresa Enke ein Projekt vor, bei dem Depressionen
für den Nicht-Erkrankten zumindest andeutungsweise fühlbar wird: eine
Virtual-Reality-Erfahrung mit VR-Brille, Kopfhörern und Bleiweste.

Bei einer Vorführung des NDR-Films über ihren Mann kommen am
vergangenen Montag Hunderte von Menschen, darunter ehemalige
Mitspieler von Robert Enke sowie Trainer wie Mirko Slomka und Dieter
Hecking, ins Theater am Aegi nach Hannover. Ehrengast ist auf Wunsch
von Teresa Enkes Bayern Münchens Präsident Uli Hoeneß.

Am Wochenende sollen im Rahmen der Aktion #gedENKEminute auf
Veranlassung des DFB und der Robert-Enke-Stiftung mit Unterstützung
der Deutschen Fußball Liga möglichst alle Vereine von der Bundesliga
bis zur Kreisliga Robert Enke gedenken.

Sie habe den Vorteil gegenüber Anderen mit einem ähnlichen Schicksal,
dass ihr Mann immer noch präsent sei - auch für ihre Tochter Leila,
sagt Teresa Enke. «Robbi ist immer noch ein großer Bestandteil meines
Lebens.» Die Medien und die Menschen denken an ihn. «Damit kann man
leichter leben, weil man weiß, dass der Mensch nicht in Vergessenheit
gerät.»

Teresa Enke glaubt, dass sich nach dem Tod ihres Mannes der
öffentliche Umgang mit der Krankheit im Allgemeinen verändert hat.
«Das ist ein großes und mittlerweile auch öffentliches Thema
geworden.» Der Fußball habe sich nicht geändert und werde sich nicht

ändern, räumt sie ein. «Aber: Es gibt mittlerweile Netzwerke. Es gibt

70 Sport-Psychiater in ganz Deutschland. Wenn ein Sportler erkrankt
ist, dann gibt es überall Anlaufstellen.»

Valentin Markser, der Robert Enke psychotherapeutisch behandelte und
bei der Pressekonferenz nach dessen Tod neben Teresa Enke saß, ist
skeptischer, was die Situation im Profi-Sport generell angeht. «Das
System ist leider noch auf dem Stand von 2009», sagte der einstige
Handball-Torwart dem Redaktionsnetzwerk Deutschland vor wenigen
Wochen. Auch Mentaltrainer und Sportpsychologen helfen nicht weiter.
«Insgesamt gibt es ein großes Missverständnis: Gesundheit ist nicht
das Ziel des Leistungssports - man setzt sie einfach während der
gesamten Karriere voraus.» Niemand wolle einen Versager.

VfL Wolfsburgs Manager Jörg Schmadtke, vor zehn Jahren Sportchef bei
Hannover 96, sieht generell keine Änderungen im Umgang miteinander im
Profi-Fußball. «Nicht bei den Medien, nicht bei den Menschen, die in
der Öffentlichkeit stehen. Der Druck ist nach wie vor groß», sagte
der 55-Jährige in einem Interview der «Welt am Sonntag». «Ich habe

keine großen Veränderungen im Fußballgeschäft feststellen können.

Aber auch nicht in der Gesellschaft an sich.»

Bayern-Chef Hoeneß glaubt ebenfalls nicht, dass Lehren für das
Miteinander aus der Tragödie von Robert Enke gezogen wurden: «Ich
finde, dass wir gerade jetzt in unserer Gesellschaft, und das gilt
nicht nur für den Fußball, relativ respektlos in vielen Bereichen
miteinander umgehen.»

Für Teresa Enke sind der Tod ihres Mannes und der ihrer ersten
Tochter die Themen ihres Lebens geworden. Auf ihrem rechten Unterarm
hat sie sich groß den Namen Robbi, am Oberarm den Namen Lara
tätowieren lassen.

Dennoch bleibt sie nicht in der Vergangenheit gefangen. Sie sei mit
sich «im Reinen». Ihr Privatleben hält sie raus aus der
Öffentlichkeit. «Mir geht es gut», verrät sie. «Ich denke
mittlerweile mit Dankbarkeit und Freude an Lara, an Robbi und an die
gemeinsame Zeit zurück.» Es gebe natürlich Momente, in denen sie
traurig sei. «Aber wenn mir jemand vor zehn Jahren gesagt hätte, dass
ich wieder glücklich werden kann - dann hätte ich das nicht
geglaubt.»

Am Todestag werden ihre Familie, Freunde und Robert Enkes Mutter nach
Hannover kommen. Sie wolle diesen Tag nicht so besonders machen, sagt
sie. Sie würden auch «kein Trübsal blasen, sondern uns erinnern und
auch lustige Geschichten erzählen». Sie stelle sich dann vor, ihr
Mann sitze neben Lara, ihrem Bruder und ihrem Vater. Sie gucken zu
ihnen runter und ihnen gehe es gut. «Diese kindliche Vorstellung habe
ich noch.»