Freundschaft über die Mauer hinweg: Marlies Göhr und Klaus Wolfermann Von Ulrike John, dpa

Leichtathleten aus der DDR und der Bundesrepublik feierten schon mal
heimlich gemeinsam in Hotelzimmern. Eine Freundschaft zweier
Olympiasieger hat auch 30 Jahre nach der Wende noch Bestand.

Jena/Penzberg (dpa) - Als Marlies Göhr am 9. November 1989 Tochter
Nadja zur Welt bringt, da schaut alles nach Deutschland. Der Tag des
Mauerfalls ist für die einst schnellste Sprinterin der Leichtathletik
etwas ganz Besonderes. Wie es mit der DDR weitergeht, das beschäftigt
die Vorzeigesportlerin an diesem Tag ebenso wie die Frage: Wer wird
denn nun Pate für die Kleine? Marlies und Ulrich Göhr entscheiden
sich für den an der Klinik in Jena zuständigen Professor Günter Stein

- und für Klaus Wolfermann. Mit dem Speerwurf-Olympiasieger von 1972
verbindet die ehemalige Weltrekordlerin bis heute eine
Ost-West-Freundschaft.

«Wir wussten nicht, was kommt», erinnert sich Göhr an jenen
historischen und privat so aufregenden Tag. Wolfermann war da längst
ein Vertrauter. Obwohl die heute 61-Jährige, ihn «offiziell ja nur
bei Wettkämpfen sehen konnte». Und obwohl Göhr und Wolfermann einer
unterschiedlichen Leichtathletik-Generation angehören.

Sie rannte 1977 als erste Frau der Welt die 100 Meter unter 11,0
Sekunden - 10,88 in Dresden. Die Thüringerin mit dem Trommelschritt
war 1976 und 1980 Staffel-Olympiasiegerin, 1983 Weltmeisterin über
100 und 4 x 100 Meter und dreimal Einzel-Europameisterin im Freien.
Bei der WM 1987 in Rom, das weiß Wolfermann noch genau, «da haben wir
mit DDR-Athleten auf den Hotelzimmern gemeinsam gefeiert,
abgeschottet von den Funktionären».

Wolfermann erlebt 1972 in München mit Olympia-Gold den Triumph seines
Lebens. Der findige Franke arbeitet nach seiner Karriere als
Repräsentant beim Sportartikelhersteller Puma, war für internationale
Kontakte zuständig - und knüpfte die bereits vor der Wende in die
DDR. «Offiziell durften wir ja kein Puma tragen, wir hatten ja
Adidas», erinnert sich Göhr. «Aber als Freizeitkleidung ging's.»

Wolfermann brachte Göhr ab und zu Präsente über die Grenze, die
übergab seine Frau schon mal auf einer Toilette. Einmal habe sogar
ein Spediteur aus der DDR einen Fernseher bei ihm in Herzogenaurach
für sie abgeholt. «Nach dem Mauerfall war vieles einfacher und
direkter», sagt er. Dann wurde auch der Kontakt zum Ehepaar Göhr
intensiver: Zusammen mit Ulrich Göhr, einem ehemaligen Fußballer vom
FC Carl Zeiss Jena, organisierte er Wohltätigkeitsspiele des FC
Olympia.

«Wenn man ihn gebraucht hat, dann war er immer da», sagt Göhr über

Wolfermann. Sie arbeitet als Psychologin im Saale Betreuungswerk der
Lebenshilfe in Jena, der Weg zu dem 73-Jährigen ins bayrische
Penzberg ist allerdings weit. «Aber wir rufen uns schon immer wieder
an. Es gibt wenige, die man über so viele Jahre immer wieder trifft»,
sagt sie. «Er ist ja jetzt mehr auf Golf spezialisiert.»

Gemeinsame Anknüpfungspunkte haben die beiden aber weiterhin in der
Leichtathletik: Göhr ist stellvertretende Vorsitzende beim LC Jena,
dem Club von Thomas Röhler: Der wurde 2016 in Rio de Janeiro
Speerwurf-Olympiasieger - als erster Deutscher nach Wolfermann.

Bis heute führt Göhr die deutsche Bestenliste über 100 Meter mit
10,81 Sekunden an. Auf ihren Zeiten und Erfolgen lastet wie auf so
vielen früheren Leichtathletik-Stars ein Doping-Verdacht: Nach den
Forschungen von Brigitte Berendonk und Werner Franke war die
Sprinterin Teil des staatlich organisierten Missbrauchs. Sie selbst
hat das stets brüsk von sich gewiesen.

Ob sie auch über so etwas reden in ihrer langjährigen Freundschaft?
«Da hat sie sich bis heute verschlossen», erklärt Wolfermann. «Es h
at
ja auch Athleten in der DDR gegeben, die keine Pillen genommen
haben.»