Umfrage: Regelmäßig Übergriffe und Zwang in der Psychiatrie

In psychiatrischen Einrichtungen haben Pfleger, Ärzte und Therapeuten
oft wenig Zeit für die Patienten. Das hat nach einer neuen Umfrage
oft drastische Auswirkungen. Nun steht eine wichtige Weichenstellung
an.

Berlin (dpa) - Wegen Personalengpässen in der Psychiatrie kommt es
einer Umfrage zufolge regelmäßig zu Übergriffen auf Beschäftigte un
d
zur Zwangsfixierung von Patienten. Fast die Hälfte der Beschäftigten
erlebt regelmäßig körperliche Übergriffe gegen sich selbst, wie die

Umfrage der Gewerkschaft Verdi zeigt, die der Deutschen
Presse-Agentur in Berlin vorliegt. Befragt wurden mehr als 2300
Psychiatrie-Beschäftigte aus 168 Krankenhäusern.

Gefragt worden war nach den Erfahrungen in den vier Wochen vor der
Befragung. Über 80 Prozent der Beschäftigten gaben an, in dem
Zeitraum mit Beschimpfungen konfrontiert worden zu sein. Drei von
vier Beschäftigten haben zudem mindestens eine Zwangsmaßnahme
miterlebt, die Hälfte sogar mindestens einmal die Woche. Jeder Fünfte
erlebt das praktisch in jedem Dienst. Patienten können mit Gurten
festgehalten werden, so dass sie sich selbst oder andere nicht
gefährden. Über 60 Prozent der Beschäftigten meinen, ungefähr die
Hälfte oder fast alle Zwangsmaßnahmen wären mit mehr Personal
vermeidbar gewesen.

Mehr als 80 Prozent der Befragten sagten, ein begleiteter Ausgang für
die Patienten sei bei Bedarf nur teilweise oder nicht möglich. Mehr
als drei Viertel der Beschäftigten können sich demnach nicht
vorstellen, bei der derzeitigen Personalsituation bis zur Rente in
der Psychiatrie zu arbeiten. 77 Prozent der Beschäftigten bewerten
die Besetzung auf ihrer Station als knapp oder viel zu gering.

Verdi will mit einem bundesweiten Aktionstag in zahlreichen
Einrichtungen an diesem Dienstag auf die prekäre Personalsituation in
psychiatrischen Krankenhäusern aufmerksam machen.

Hintergrund ist eine bevorstehende Entscheidung über die
Personalausstattung in der Psychiatrie. Am 19. September will der
Gemeinsame Bundesausschuss über Vorgaben für die Personalausstattung
entscheiden. Das ist das höchste Entscheidungsgremium der
Selbstverwaltung im Gesundheitswesen. Krankenkassen, Krankenhäuser
und Ärzte machen hier entsprechende Vorgaben.

Verdi-Vorstandsmitglied Sylvia Bühler sagte der dpa: «Das Personal
muss dringend aufgestockt werden.» Signale aus dem Bundesausschuss
wiesen aber in die falsche Richtung. Würden die hier vertretenen
Krankenhäuser und Krankenkassen ihrem Auftrag für eine gute
Versorgung nicht gerecht, müsse die Politik eingreifen. Erhöht werden
müsse etwa die Zeit, die für die Beschäftigten pro Patient vorgesehen

sei.