Siamesische Zwillinge in Berlin geboren - ein sehr seltenes Phänomen Von Sebastian Fischer, dpa

Extrem selten werden siamesische Zwillinge geboren. Häufig müssen sie
in komplizierten Operationen voneinander getrennt werden. Das geht
nicht immer gut. Nun gibt es einen neuen Fall in Berlin.

Berlin (dpa) - Nach mehr als 15 Jahren sind in Deutschland wieder
siamesische Zwillinge geboren worden. Das zusammengewachsene
Geschwisterpaar kam am Donnerstag in der Berliner Charité per
Kaiserschnitt zur Welt, wie die Berliner Universitätsmedizin am
Freitag bestätigte. Der Eingriff sei gut verlaufen. «Aus Gründen der

ärztlichen Schweigepflicht und des Persönlichkeitsschutzes erteilen
wir derzeit aber keine weitergehenden Auskünfte», hieß es von der
Charité. Zuerst hatte der Ärztenachrichtendienst berichtet.

Als siamesische Zwillinge bezeichnet die Medizin eine Fehlentwicklung
bei eineiigen Zwillingen, deren Körper miteinander verwachsen sind.
Das passiert bereits in sehr frühen Entwicklungsstadien im
Mutterleib. Einige Babys sind nur oberflächlich zusammengewachsen,
andere teilen sich Organe oder Gliedmaßen. Ärzte versuchen häufig,
zusammengewachsene Zwillinge operativ voneinander zu trennen. An
welchen Stellen am Körper die Berliner Zwillinge zusammengewachsen
sind, gab die Charité nicht bekannt.

In Deutschland war eine Operation zuletzt im September 2015 in Köln
geglückt. Ein Team aus 20 Ärzten und Pflegern hatte in einer
fünfstündigen Operation ein siamesisches Zwillingspaar aus Georgien
getrennt. Es war an Brust und Bauch zusammengewachsen und hatte sich
eine Leber geteilt. Alle anderen Organe der knapp ein halbes Jahr
zuvor geborenen Mädchen Tamari und Tebrole waren nach Angaben der
Klinik aber komplett.

Ähnlich waren die Oberkörper der Mädchen Nima und Dawa aus Bhutan
zusammengewachsen. Auch sie hatten eine gemeinsame Leber. Im November
2018 wurden beiden 15 Monate alten Kinder aus dem Himalaya-Staat in
Australien erfolgreich getrennt.

Etwa zwei Jahre zuvor brauchten Ärzte in den USA 27 Stunden, um die
Köpfe der 13 Monate alten Brüder Anias und Jadon zu trennen. Die
Jungen hatten sich eine etwa fünf mal sieben Zentimeter große Fläche

Hirngewebe geteilt. Heute sind die beiden drei Jahre alt und lernen
die Welt immer weiter kennen.

Allerdings nehmen die komplizierten Operationen nicht immer ein
glückliches Ende. Im Dezember 2009 starben in der slowakischen
Hauptstadt Bratislava zwei Jungen. Die an Leber und Darmsystem
zusammengewachsenen Zwillinge hatten eine Notoperation, mit der sie
getrennt werden sollten, nicht überlebt. Die Ärzte wollten zumindest
das Leben eines der beiden Babys retten.

Das gelang allerdings beim letzten deutschen Geschwisterpaar, das in
der Gebärmutter zusammengewachsen war. Lea und Tabea kamen 2003 zur
Welt. Ärzte in den USA konnten das Leben von Lea retten. Operiert
hatte die beiden am Kopf zusammengewachsenen, etwa einjährigen
Mädchen aus Lemgo (Nordrhein-Westfalen) der anerkannte Arzt Ben
Carson, der heute Minister im Kabinett von US-Präsident Donald Trump
ist. 2016 sagten die Eltern, dass ihre schwer sehbehinderte Tochter
Lea ein fröhlicher Teenager geworden sei.

Siamesische Zwillinge sind extrem selten. Geschätzt kommt es zu einer
solchen Geburt pro 70 000 bis 200 000 Geburten. Benannt ist das
Phänomen nach Chang und Eng Bunker, die 1811 in Siam - weitgehend das
heutige Thailand - zur Welt kamen und ihr Leben lang miteinander
verwachsen blieben. Sie waren von der Brust bis zum Nabel
zusammengewachsen, traten im Zirkus auf und wurden 62 Jahre alt.

Das älteste siamesische Zwillingspaar lebt laut Guinness-Buch der
Rekorde von 2014 in den USA. Seit ihrer Geburt 1951 teilen sich
Ronnie und Donnie Galyon einen Unterleib.