Forscher warnen: Zahngesundheit wird weltweit vernachlässigt

Zahnmedizin in der Krise? Rund die Hälfte der Weltbevölkerung leidet
unter Problemen mit den Zähnen, ohne dass die globale
Gesundheitspolitik darauf angemessen reagiert, sagen Forscher. Sie
mahnen ein Umdenken an.

Heidelberg/London (dpa) - Forscher fordern ein radikales Umdenken im
Umgang mit Mund- und Zahnerkrankungen. Rund 3,5 Milliarden Menschen
weltweit litten unter Karies, Zahnfleischerkrankungen oder Mundkrebs
- weitgehend unbeachtet von der weltweiten Gesundheitsvorsorge und
-politik. «Die Zahnmedizin ist in der Krise», sagt Professor Richard
Watt vom University College London (UCL), einer der Autoren einer
Artikelserie zu diesen Themen im britischen Fachjournal «The Lancet».

In hoch entwickelten Ländern stehe bei der modernen Zahnmedizin
beispielsweise viel zu sehr die Behandlung statt der Vorbeugung im
Vordergrund, kritisieren er und zwölf weitere internationale
Experten. Die Wissenschaftler aus zehn Ländern, darunter auch
Großbritannien und Deutschland, monieren zudem, dass sich die
Zahnmedizin schon viel zu lange von traditioneller
Gesundheitsvorsorge abgekoppelt habe.

Besonders kritisch beurteilen die Wissenschaftler auch die Rolle der
Zucker-, Lebensmittel- und Getränkeindustrie. Ihr Einfluss könne
beispielsweise dazu führen, dass der Fokus auf kommerzielle Produkte
wie Zahnpasta mit Fluor, Mundwasser oder zuckerfreier Kaugummi gelegt
werde statt sich den tatsächlichen Ursachen etwa von Karies zu
widmen. So steige der Konsum von Zucker, Hauptursache für die
Zerstörung von Zähnen, gerade in weniger entwickelten Ländern rapide

an.

Auch in Deutschland gebe es Handlungsbedarf, sagt Co-Autor Stefan
Listl, der an der Universitätsklinik in Heidelberg im Bereich
Gesundheitsökonomie forscht. Zwar werde hier im weltweiten Vergleich
mit am meisten für zahnmedizinische Behandlungen ausgegeben. Viele
Menschen litten aber weiterhin an vermeidbaren Folgen solcher
Erkrankungen. Der dadurch entstehende Verlust an Produktivität
betrage mehr als zwölf 12 Milliarden Euro jährlich. «Es wird zuviel
Wert auf Hightech gelegt statt auf Vorsorge.»

Auch sei es weiterhin so, dass Menschen aus niedrigeren
Bildungsschichten deutlich öfter Zahnprobleme hätten. «Mit dem
Versorgungsmodell hierzulande kommt man sehr weit, aber wie kann man
die erreichen, die nie zum Zahnarzt gehen?», sagte Listl. Vielen
Menschen sei nicht bewusst, wie wichtig Zahn- und Mundhygiene sei.