«Es lebe Europa»: Von der Leyen appelliert an das EU-Parlament

Am Ende war es eine emotionale Rede, mit der die Kandidatin für das
Amt der EU-Kommissionspräsidentin um Unterstützung für ihre Wahl
warb. Einige hat sie wohl bewegt. Doch die Sozialdemokraten bleiben
kühl.

Straßburg (dpa) - Ein klimaneutrales, soziales, geeintes Europa:
Ursula von der Leyen hat sich am Dienstag mit einer engagierten Rede
um das Amt als Präsidentin der Europäischen Kommission beworben.
Dabei machte sie erneut weitreichende Zusagen, um die Unterstützung
der Abgeordneten für ihre Wahl am Abend zu gewinnen. Sie setzte sich
für Geschlechtergerechtigkeit, Rechtsstaatlichkeit und stärkere
Rechte des Parlaments ein. Allen Spaltern Europas erteilte sie eine
Absage. Sie schloss ihre Rede mit: «Es lebe Europa.»

Die geheime Abstimmung ist für 18.00 Uhr angesetzt. Für die Wahl
benötigt von der Leyen die absolute Mehrheit der derzeit 747
Abgeordneten. Es müssten also mindestens 374 Abgeordnete für sie
stimmen. Die Mehrheitsverhältnisse sind sehr knapp und von der Leyen
braucht jede Stimme.

In ihrer Bewerbungsrede beschwor sie Einheit und Zusammenhalt. Nur
dann könne sich Europa in der Welt behaupten. Dann wiederholte von
der Leyen eine ganze Reihe von Zusagen, die sie bereits in den
vergangenen Tagen an die Abgeordneten gemacht hatte und unterfütterte
sie mit Details.

So bekräftigte sie ihr Versprechen für ein klimaneutrales Europa bis
2050 und eine Senkung der Treibhausgase um bis zu 55 Prozent bis
2030. «Unsere drängendste Aufgabe ist es, unsere Planeten gesund zu
halten», sagte von der Leyen. Sie betonte, sie werde sich für
vollständige Gleichberechtigung von Männern und Frauen einsetzen.

Große Internetkonzerne sollen nach ihrem Willen in Europa stärker
besteuert werden. «Es ist nicht akzeptabel, dass sie Profite machen
und keine Steuern zahlen», sagte sie. «Wenn sie profitieren wollen,
müssen sie auch die Kosten tragen.» Von der Leyen sagte zudem vollen
Einsatz der Kommission für die Rechtsstaatlichkeit zu - mit allen
Instrumenten und mit einem neuen Rechtsstaatsmechanismus.

Sie schloss auch eine weitere Verschiebung des Brexits nicht aus -
was Protestrufe der Brexit-Partei im Parlament auslöste. Eine
Verlängerung der Austrittsfrist für Großbritannien wäre möglich,
wenn
es gute Gründe gäbe, sagte sie.

Der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei, Manfred Weber, sagte
von der Leyen nach der Rede die volle Unterstützung seiner Fraktion
mit 182 Abgeordneten zu - die Kandidatin gehört zu seiner
Parteienfamilie. Auch der liberale Fraktionschef Ciolos signalisierte
Unterstützung. Die sozialdemokratische Fraktionschefin Iratxe Garcia
Perez kündigte jedoch an, ihre Gruppe werde sich erst am Nachmittag
festlegen. Von den Grünen kam erneut ein Nein.

Für eine Mehrheit braucht von der Leyen auch Stimmen aus der
sozialdemokratischen Gruppe mit 153 Sitzen und von den Liberalen, die
insgesamt 108 Mandate haben. Die beiden Gruppen wollen sich erst in
Fraktionssitzungen am Nachmittag endgültig entscheiden. Die 16
SPD-Europaabgeordneten haben ein Nein angekündigt.

Die SPD-Europapolitikerin Katarina Barley bekräftigte noch am
Dienstagmorgen ihre Ablehnung. Hauptgrund sei, dass von der Leyen
nicht Spitzenkandidatin zur Europawahl gewesen sei. Die EU-Staats-
und Regierungschefs hätten das Europaparlament «bewusst überfahren»
,
kritisierte Barley im ZDF. Es gehe hier um mehr als eine Personalie,
es gehe um die Demokratisierung der EU.

Von der Leyen hatte am Montag ihren Rücktritt als
Verteidigungsministerin angekündigt - unabhängig vom Wahlausgang, «um

meine volle Kraft in den Dienst von Europa zu stellen», wie sie auf
Twitter schrieb. In Berlin stellt sich nach der Rücktrittsankündigung
von der Leyens die Frage, wer den wichtigen Kabinettsposten
übernimmt. Als mögliche Kandidaten sind unter anderem
Gesundheitsminister Jens Spahn, die Verteidigungsexperten Johann
Wadephul und Henning Otte (alle CDU) sowie Ex-CDU-Generalsekretär und
Verteidigungsstaatssekretär Peter Tauber im Gespräch.

Von der Leyen hatte als weiteres Zugeständnis an kritische
Abgeordnete auch angekündigt, dass der umstrittene deutsche
EU-Spitzenbeamte Martin Selmayr nicht Generalsekretär der
EU-Kommission bleiben werde. Selmayr bestätigte seinen Abschied aus
Brüssel dem Politikportal Politico. Bereits Ende nächster Woche werde
er seinen Posten verlassen, sagte Selmayr nach einem Bericht vom
Dienstag.