Bessere Versorgung? Fachleute empfehlen weniger Krankenhäuser

Sind kleine Krankenhäuser ein Risiko für die Patienten? Fachleute
sehen das so. In einer Studie für die Bertelsmann Stiftung melden sie
sich mit einem radikalen Vorschlag zu Wort.

Gütersloh (dpa) - Die Versorgung der Patienten in Deutschland könnte
einer Studie zufolge durch die Schließung von mehr als jedem zweiten
Krankenhaus erheblich verbessert werden. Wenn die Zahl der Kliniken
von derzeit knapp 1400 auf weniger als 600 sinke, könnten die
verbleibenden Häuser deutlich mehr Personal und eine bessere
Ausstattung erhalten, heißt es in der am Montag veröffentlichten
Untersuchung im Auftrag der Bertelsmann Stiftung. Bei Krankenhäusern
und Ärzten stießen die Empfehlungen auf heftige Kritik.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sprach sich für einen Mix
aus wohnortnaher Versorgung und Spezialisierung aus. «Nicht jedes
Krankenhaus muss alles machen. Hier sollten wir unsere Kräfte besser
bündeln», sagte er. «Kompliziertere Fälle gehören in ein Krankenh
aus,
das in der Behandlung Routine hat.» Denn die Qualität einer
Behandlung hänge stark mit der Erfahrung des Krankenhauses zusammen.
Kliniken, denen diese nötige Routine fehle, stehe bereits jetzt keine
Vergütung für diese Behandlung zu.

Die Vorstellung, dass die Krankenhausversorgung vor allem im
ländlichen Raum ausgedünnt wird, löst vielerorts Besorgnis aus. Ein
solcher Schritt würde auch den Forderungen der Kommission
«gleichwertige Lebensverhältnisse» nach Sicherung einer gut
erreichbaren, wohnortnahen Gesundheitsinfrastruktur widersprechen.
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft warnte vor einer «Zerstörung von
sozialer Infrastruktur in einem geradezu abenteuerlichen Ausmaß».
Spahn hatte kürzlich betont: «Ein Krankenhaus vor Ort ist für viele
Bürger ein Stück Heimat.»

Bundesärztekammerpräsident Klaus Reinhardt nannte den Vorschlag der
Experten «mehr als befremdlich». In Ballungsgebieten könnten größ
ere
Strukturen aber «durchaus sinnvoll» sein, räumte er ein. Die
Ärztegewerkschaft Marburger Bund betonte: «Versorgungsprobleme werden
nicht dadurch gelöst, dass pauschal regionale, leicht zugängliche
Versorgungskapazitäten ausgedünnt werden.»

«Nur Kliniken mit größeren Fachabteilungen und mehr Patienten haben
genügend Erfahrung für eine sichere Behandlung», betonen die Autoren

der vom Berliner Institut für Gesundheits- und Sozialforschung (Iges)
erstellten Studie dagegen. Kleine Kliniken verfügten dagegen häufig
nicht über die nötige Ausstattung und Erfahrung, um lebensbedrohliche
Notfälle wie einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall angemessen
behandeln zu können. Viele Komplikationen und Todesfälle ließen sich

durch eine Bündelung von Ärzten und Pflegepersonal sowie Geräten in
weniger Krankenhäusern vermeiden.

Diese Einschätzung sei «absolut unbelegt», widersprach die
Krankenhausgesellschaft. Die Qualität der Versorgung in den Kliniken
werde seit Jahren gemessen, mit wenigen Ausnahmen werde jedes Jahr
allen beteiligten Kliniken ein hohes Niveau bestätigt. Bei einem
Großteil der Krankenhausbehandlungen handele es sich um medizinische
Grundversorgung, wie Geburten oder altersbedingte Krankheitsbilder
der Inneren Medizin. Sie müssten «möglichst familien- und wohnortnah

in erreichbaren Krankenhäusern» erbracht werden.

In der Bertelsmann-Studie heißt es dagegen, die schnelle
Erreichbarkeit eines kleinen Krankenhauses sei nur ein vermeintlicher
Vorteil. Wenn dort kein Facharzt verfügbar sei, habe die Klinik einen
gravierenden Qualitätsnachteil. Im Regelfall wären die Kliniken auch
dann innerhalb von 30 Minuten zu erreichen, wenn ihre Gesamtzahl
deutlich verringert würde. In ländlichen Kreisen mit geringer
Bevölkerungsdichte sei dies allerdings kaum möglich, räumen die
Autoren ein. Dies gelte für insgesamt 28 Kreise in acht
Bundesländern.

Die Debatte über eine Verringerung der Zahl der Krankenhäuser in
Deutschland ist nicht neu. «Zugänglichkeit und Qualität der Klinken
stehen seit langem in einem Spannungsverhältnis», sagte Jürgen Wasem,

Professor für Medizinmanagement an der Universität Duisburg-Essen,
der Deutschen Presse-Agentur. «Es geschieht auch schon einiges. Mit
dem Krankenhausstrukturfonds werden die Zusammenlegung und die
Schließung von Krankenhäusern finanziell unterstützt.»

Die Autoren der Bertelsmann-Studie schlagen einen zweistufigen Aufbau
einer neuen Krankenhausstruktur vor. Neben Versorgungskrankenhäusern
mit durchschnittlich gut 600 Betten soll es etwa 50 Unikliniken und
andere Maximalversorger mit im Schnitt 1300 Betten geben. Aktuell hat
ein Drittel der deutschen Krankenhäuser weniger als 100 Betten.