Flüstern bis zum Orgasmus - Was steckt hinter Erotikangebot? Von Marco Krefting, dpa

1969 hauchte Jane Birkin Serge Gainsbourg in einem Lied «Je t'aime»
entgegen - ein Inbegriff sanfter Verführung. Dass Flüstern besondere
Gefühle auslösen kann, ist lange bekannt. Jetzt will das auch die
Erotikbranche nutzen.

München (dpa) - «Ich werde dir jetzt einige Instruktionen geben, die
du zu befolgen hast. Damit wirst du deine Lust und deine Befriedigung
steigern.» Das verspricht Hypnose-Therapeutin Dea Levina aus Bayern.
Besser: Sie flüstert es, wispert deutlich jede Silbe. Ihr A und O der
Verführung. Mit ihren erotischen Hörbüchern folgt sie einem Trend,

der sich seit einigen Jahren im Internet ausbreitet - bisher aber vor
allem jenseits von Erotik: ASMR.

Die Abkürzung steht für Autonomous Sensory Meridian Response. Eine
gute deutsche Übersetzung gibt es nicht. Im Grunde geht es darum,
dass Geräusche beim Zuhören entspannen oder auch ein leichtes
Kribbeln auslösen können. Dabei ist so gut wie alles denkbar. In
unzähligen Videos etwa bei Youtube streichen Menschen mit Pinseln
oder Fingern über Mikrofone, blättern Bücherseiten um oder bürsten

ihre Haare. Manche nutzen das angeblich sogar als Einschlafhilfe. Die
Clips werden millionenfach angeklickt, Tendenz steigend. Und immer
wieder flüstern die Protagonisten auch in solchen Filmchen.

ASMR sei wissenschaftlich nicht klar definiert, sagt Claus-Christian
Carbon, Psychologie-Professor an der Uni Bamberg. Geräusche, die man
sonst nicht wahrnimmt, gerieten in den Fokus: das Ausschaben einer
Melone, das Schneiden eines Stücks Seife. Die genaue Funktionsweise
hätten Forscher noch nicht wirklich ergründet. «Aber wenn sich Leute

das eine Stunde angucken, muss psychologisch mehr dahinterstecken»,
ergänzt Carbon.

Nun hat auch die Erotikbranche den Trend für sich entdeckt. Flüstern
bis zum Orgasmus, lautet das Versprechen. Seit Anfang des Jahres
bietet Fred Graf, Mitgründer eines Onlineshops mit Sitz nahe München,

auch ASMR-Hörbücher an. «Das macht inzwischen schon gut ein Drittel
des Umsatzes aus», sagt er. Branchenweit sei das aber eher eine
Nische, urteilt der Bundesverband Erotik Handel. Der Schwerpunkt
liege weniger bei Audio, sondern bei Filmen. Und da sei Flüstern
nicht so das Thema.

Dea Levina ist eine von Grafs Autorinnen - ein Künstlername, versteht
sich. Als «Mental Domina» ziele sie mit ihren Texten hauptsächlich
auf männliche Sklaven ab, erläutert sie. Funktionieren könne das aber

bei jedem, der sich auf die erotischen Geschichten einlasse. Und wie
spürt man ASMR dann? Los gehe es meist mit Kopfkribbeln, beschreibt
die Sprecherin. «Ab und zu hat man auch Gänsehaut, zum Beispiel an
den Armen oder im Nacken.» Es breite sich eigentlich im ganzen Körper
aus. «Und man reagiert auch im Lustzentrum», ergänzt sie. «Das hei
ßt,
man wird geil davon.»

Die einen erfahren durch ASMR Entspannung, die anderen Erregung. Wie
passt das zusammen? «Bei vielen Dingen, die einen erst aufregen, gibt
es nachher Entspannung», sagt Psychologe Carbon. Deshalb würden auch
viele nach dem Sex müde. «Nach dem Orgasmus ist erstmal Feierabend.»

Ein Medium könne zwei Auslöserprinzipien haben. «Es entwickelt sich
in Sequenzen: Erst ist es aufwühlend. Über ständige Wiederholung
stellt sich ein Gewohnheitseffekt ein», erläutert der Professor.

ASMR sei jedoch bisher kaum empirisch erforscht. «Aber Erotik
funktioniert über den Kopf», ergänzt Carbon. Daher sei durchaus
vorstellbar, dass es den ein oder anderen zum Höhepunkt bringe. Vor
allem das Flüstern schaffe eine besondere Intimität. «Wenn ich
anfange zu flüstern, habe ich was sehr Persönliches zu erzählen.»
Doch längst nicht nur in Sachen Sex. So könne man auch beim Vorlesen
von Kinderbüchern flüstern, um eine besondere Stimmung zu erzeugen.
Erotik sei da einfach eine andere Richtung, so Carbon.

An sich nichts Neues, erinnert man sich beispielsweise an das
gehauchte «Je t'aime» von Jane Birkin 1969. Das Duett mit Serge
Gainsbourg avancierte in der Musik zu einem Inbegriff sanfter
Verführung, der Titel ist bei vielen sofort im Ohr. Doch selbst in
der ASMR-Szene ist die erotische Wirkung teils heftig umstritten. Bei
einer Studie der britischen Swansea University mit 475 erwachsenen
Teilnehmern aus dem Jahr 2015 gaben nur fünf Prozent der Befragten
an, ASMR zur sexuellen Stimulation zu nutzen. 84 Prozent
widersprachen.

Dea Levina erhält nach eigenen Angaben ausschließlich positive
Resonanz. Als Hypnose-Therapeutin bringe sie das nötige Fachwissen
mit, als privater Fetischfan die Erotikkomponente und als Sängerin
eine geschulte Stimme. Dennoch seien gerade die ASMR-Aufnahmen auch
für sie eine Herausforderung: «Es ist anstrengend für die Stimme,
wenn man immer flüstern muss. Und man sollte auch aufpassen, dass man
zum Beispiel ein T oder K nicht zu hart spricht.»