Tschentscher über Merkel: Leichte Anzeichen körperlicher Überlastung

Wie krank ist die Kanzlerin? Merkel lässt nach ihren Zitteranfällen
lediglich durchblicken, einen Arzt aufgesucht zu haben. Ein
medizinisch gebildeter Länderkollege warnt vor einer Diskussion
darüber - und gibt doch eine kleine Einschätzung.

Berlin (dpa) - Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) sieht
nach den Zitteranfällen von Kanzlerin Angela Merkel leichte Anzeichen
körperlicher Überlastung. Im ZDF-«Heute Journal» warnte der frühe
re
Diagnose-Mediziner am Donnerstagabend aber vor einer öffentlichen
Diskussion über ihren Gesundheitszustand. Er wies auf die enormen
körperlichen Belastungen des Amtes hin und sagte: «Wenn ein solcher
Job über viele Jahre ausgeübt wird, dann gehört dazu eine sehr, sehr

gesunde Grundnatur. Und solche leichten Anzeichen von körperlicher
Überlastung sollte man eher mit Nachsicht und vielleicht auch mit ein
bisschen mehr Pausenzeiten beantworten und nicht mit einer
öffentlichen Diskussion, was denn nun wirklich die Ursache wohl sein
sollte.»

Innerhalb von gut drei Wochen hatte Merkel drei Mal in der
Öffentlichkeit einen Zitteranfall erlitten, immer im Stehen, zuletzt
am Mittwoch, als sie den finnischen Regierungschefs Antti Rinne vor
dem Kanzleramt mit militärischen Ehren empfing und stehend beide
Nationalhymnen anhörte. Sobald sie sich bewegen konnte, schien es ihr
wieder besser zu gehen. Nach dem Gespräch mit Rinne sagte sie: «Man
muss sich keine Sorgen machen.» Zweifel an ihrer Arbeitsfähigkeit
wies sie zurück: «Ansonsten bin ich ganz fest davon überzeugt, dass

ich gut leistungsfähig bin.»

Gleichwohl zog sie am Donnerstag bei der Begrüßung der dänischen
Ministerpräsidentin Mette Frederiksen Konsequenzen und vollzog die
Empfangszeremonie mit ihr erstmals teilweise im Sitzen. In einer
Pressekonferenz beantwortete Merkel die Frage, ob sie einen Arzt
aufgesucht hat, zwar nicht konkret, ließ aber durchblicken, dass sie
dies getan hat. «Sie dürfen davon ausgehen, dass ich erstens um die
Verantwortung meines Amtes weiß und deshalb auch dementsprechend
handele - auch was meine Gesundheit anbelangt», sagte sie. «Und
zweitens dürfen Sie davon ausgehen, dass ich auch als Mensch ein
großes persönliches Interesse daran habe, dass ich gesund bin und auf
meine Gesundheit achte.»

Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) hält es auch nicht für

nötig, dass sich Merkel näher dazu einlässt. «Auch Personen des
öffentlichen Lebens haben Anspruch auf Privatsphäre», sagte er der
Zeitungen der Funke-Mediengruppe. «Die Kanzlerin hat sich bereits zu
ihrem Gesundheitszustand geäußert. Mehr können und sollten wir von
ihr nicht verlangen. Ich habe auch nicht den Eindruck, dass sie nicht
selbst einschätzen kann, ob sie leistungsfähig ist.» Er fügte hinzu
:
«Ich warne davor, eine Fitness-Diskussion über Politiker zum Ersatz
für Politik zu machen.»

Dagegen hält der Mainzer Politikwissenschaftler Jürgen Falter Merkels
Informationen für unzureichend. «Das reicht nicht mehr aus. Die
Kanzlerin muss die Öffentlichkeit informieren. Es entsteht sonst der
Verdacht, dass etwas Schlimmeres dahinterstecken könnte», sagte er
dem «Mannheimer Morgen» (Freitag).