Wiederbelebung per Telefon: Leitstellen koordinieren Rettungseinsätze Von Wyona Schütte, dpa

Wer die 112 wählt, landet in einer Leitstelle. Dort entscheiden die
Mitarbeiter, ob ein Rettungswagen, Notarzt oder die Feuerwehr
alarmiert wird. Die Verantwortung ist groß.

Oldenburg (dpa/lni) - Das Aufleuchten einer roten Lampe über dem
Schreibtisch von Pascal Ledda verrät, dass ein Notruf eingegangen
ist. Der Mitarbeiter der Großleitstelle Oldenburger Land lässt sich
den genauen Unfallort beschreiben und fragt, was passiert ist. «Ein
Mann hat mit seinem Auto meinen Traktor gerammt», berichtet der
Anrufer, der die 112 gewählt hat. Schnell zeigt sich, dass der
Verletzte bei Bewusstsein ist. Doch kann er sich selbst aus dem Auto
befreien? Von dieser Information hängt ab, ob Ledda auch die
Feuerwehr schicken muss. Der Anrufer versucht, die Autotür zu öffnen.
Schon während dieser Sekunden schickt Ledda einen Rettungswagen los.
Welches der mehr als 1500 Fahrzeuge aus dem Einsatzgebiet am
schnellsten vor Ort sein kann, schlägt ihm ein spezielles
Computerprogramm vor. Dann gibt es Entwarnung: Die Autotür geht auf.

Wer in Niedersachsen die 112 anruft, landet in einer Zentrale.
Derzeit gibt es rund 30 Feuerwehr- und Rettungsleitstellen, wie ein
Sprecher des Innenministeriums in Hannover sagte. Dort entscheiden
die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, ob ein Notarzt, die Feuerwehr
oder ein Rettungswagen gebraucht wird. Die Leitstellen sind rund um
die Uhr erreichbar.

In der Oldenburger Großleitstelle arbeiten insgesamt mehr als 50
Menschen - am Telefon, in der Verwaltung und Technik. Die sogenannten
Disponenten koordinieren die Einsätze in den Landkreisen Cloppenburg,
Wesermarsch, Oldenburg und Ammerland sowie den Städten Oldenburg und
Delmenhorst. Täglich sind fünf von ihnen dafür zuständig, die Notru
fe
aus einem Einzugsgebiet mit mehr als 700 000 Menschen entgegen zu
nehmen und zu entscheiden, welche Hilfe nötig ist.

Leddas Einsatz zu dem Traktor-Unfall ist an diesem Tag noch nicht
beendet. Die Sanitäter vor Ort haben entschieden, dass der Verletzte
in ein Krankenhaus muss. Ledda prüft, welches der umliegenden sich am
besten eignet. Hilfe dafür bietet ein sechsstelliger Code. Er
informiert über Beschwerden, Alter und Schweregrad der Verletzungen
und wird mit anderen Informationen an die Krankenhausbelegschaft
weitergegeben. So kann das Klinikpersonal nötige Vorkehrungen für die
Behandlung treffen.

Erst wenn der Rettungswagen nach dem Einsatz wieder für neue Notfälle
zur Verfügung steht und der Disponent in der Leitstelle den Vorfall
dokumentiert hat, gilt der Einsatz als abgeschlossen. So kann es
schnell passieren, dass an einem Vormittag 50 bis 80 Einsätze
parallel laufen, wie Schichtführer Andreas Rawicz sagt.

Anhand eines Fragenkatalogs versuchen die Disponenten möglichst
schnell herauszufinden, welche Hilfe benötigt wird. Die «W-Fragen» -

was ist passiert, wo, wie viele Verletzte und so weiter - muss jedoch
kein Anrufer auswendig im Kopf haben. Stattdessen führt der
Mitarbeiter durch das Gespräch. «Wir wollen so möglichst frühzeitig

herausfinden, ob es sich um eine lebensbedrohliche Situation
handelt», sagt Rawicz.

Häufig kommt es beispielsweise vor, dass Verletzte wiederbelebt
werden müssen. Da zählt jede Sekunde. Der Disponent gibt per Telefon
Anweisungen, was genau zu tun ist. «Reanimationen sind quasi
Standard» sagt Pascal Ledda. Doch er musste auch schon ungewöhnliche
Notfälle aus der Ferne betreuen. Beispielsweise eine Zwillingsgeburt
anleiten. Bis die Sanitäter eintrafen, waren beide Babys entbunden.

Nicht immer ist es einfach, die Situation einzuschätzen, ohne selbst
vor Ort zu sein. Wie Ledda haben auch die anderen Mitarbeiter vor
ihrem Dienst in der Leitstelle als Rettungsassistenten,
Notfallsanitäter oder Gruppenführer bei der Feuerwehr gearbeitet.
Diese Erfahrungen helfen. Welche Bedeutung die Entscheidungen der
Disponenten haben, zeigte sich in einem Fall in Herne bei Bochum. Ein
Leitstellenmitarbeiter hatte im Sommer 2016 keinen Notarzt
losgeschickt, obwohl ein Anrufer deutliche Schlaganfall-Symptome
geschildert hatte. Bis heute leidet der Patient unter
Taubheitsgefühlen und einer Gehbehinderung.

Dass nicht hinter jedem Anruf ein Notfall steckt, wird aus den
jüngsten Zahlen der Großleitstelle für das Oldenburger Land deutlich.

Demnach wurde nur nach etwa jedem zweitem Anruf ein Einsatzwagen
alarmiert. Mitunter wählten Menschen 112 wegen eines abgelaufenen
Passes, eines Wespennestes oder eines Wasserrohrbruchs. «Wenn der
Bürger nicht weiterweiß, wählt er die 112», sagt Ledda. Das koste
wertvolle Kapazitäten und Zeit. Vielen sei zum Beispiel die Nummer
des ärztlichen Bereitschaftsdienstes 116 117 nicht bekannt.