«Diese Kinder sieht niemand» - Alkohol ist Problem für ganze Familie

Wenn die Eltern regelmäßig zur Flasche greifen, kann das nicht nur
deren Leben zerstören. Auch ihre Kinder leiden. Suchtberater im Land
bieten ihnen Unterstützung an - wenn sie überhaupt aufgesucht werden.

Magdeburg (dpa/sa) - Kinder von Eltern mit Alkoholproblemen
profitieren nach Ansicht von Experten von den Angeboten der
Suchtberatungsstellen im Land. Im vergangenen Jahr suchten sich knapp
5350 alkoholabhängige Menschen in einer der knapp 35 Stellen im Land
Hilfe, wie Helga Meeßen-Hühne von der Landesstelle für Suchtfragen
Sachsen-Anhalt in Magdeburg sagte. Davon profitierten demnach auch
knapp 1200 mitbetroffene, minderjährige Kinder. Insgesamt gingen
knapp 10 000 Menschen wegen einer Sucht zu einer der Beratungsstellen
- mehr als die Hälfte wegen Problemen mit Alkohol, knapp 16 Prozent
wegen Stimulanzien, wie Amphetamin oder Crystal Meth, und 13 wegen
Cannabinoide, wie Cannabis.

Alkohol sei demnach eines der größten Probleme, so Meeßen-Hühne.
Viele Abhängige hätten einen Job und Kinder und versuchten, trotz
Sucht im Leben zu stehen. Doch sie könnten beidem oft nicht mehr
gerecht werden. Sie seien nicht mehr leistungsfähig bei der Arbeit,
so dass Kollegen ihre Aufgaben miterledigen müssten, und belasteten
ihre Familien sehr stark.

«Das führt oft zu Familiengeheimnissen», sagte die Expertin. Um ihre

Eltern zu schützen, schwiegen die Kinder in Kita, Schule oder Hort
über die Probleme daheim und würden oft automatisch mehr
Verantwortung übernehmen, als sie in ihrem Alter tragen könnten. Die
suchtkranken Eltern seien unter anderem wegen ihrer
Stimmungsschwankungen und des Rausches eine Belastung für die
Heranwachsenden.

Die betroffenen Kinder würden deshalb dringend Hilfe benötigen. Für
Erzieher und Pädagogen an Kitas und Schulen gebe es Weiterbildungen,
um Anzeichen früh zu erkennen, sagte Meeßen-Hühne. Aber auch Vereine,

die ihre Nachmittage mit den Kindern verbringen würden, müssten für
das Thema sensibilisiert werden. «Diese Kinder sieht niemand», sagte
Meeßen-Hühne.

Wenn die Vertrauten der Kinder einen Verdacht hätten, seien die
Suchtberatungsstellen sehr gute Ansprechpartner für den richtigen
Umgang mit dem Thema, erklärte die Expertin. Das Problem sei, dass
die Kinder ihre Familienprobleme oft nicht verraten wollen würden, um
nicht als illoyal zu erscheinen. Eine Folge könne eine
Co-Abhängigkeit sein. Die Kinder versuchten, das Verhalten ihrer
Eltern zu decken. «Man sollte nie ein Kind demaskieren», betonte
Meeßen-Hühne. Wenn die Suchterkrankung der Eltern am Ende endlich
aufgedeckt sei, fühlten sich die Heranwachsenden oft entlastet.

Nicht nur aus diesem Grund sei es wichtig, das Thema anzusprechen und
zu helfen, sagte Meeßen-Hühne. Kinder von Alkoholabhängigen seien
zudem oft stärker gefährdet, später selbst an einer Sucht zu
erkranken. Zudem würden sie durch die hohe Belastung in der Familie
oft Fehlverhalten in der Schule oder im Umgang mit Gleichaltrigen
zeigen. Die Folge: Sie werden isoliert.