Bundesgerichtshof stärkt Patientenwillen bei Sterbebegleitung von Theresa Held, dpa

Der Bundesgerichtshof hat ein Grundsatzurteil zur Sterbebegleitung
getroffen: Ein Arzt ist nicht dazu verpflichtet, Patienten nach einem
Suizidversuch das Leben zu retten. Zumindest, wenn die Entscheidung
zum Sterben freiwillig und bewusst getroffen wurde.

Leipzig (dpa) - Der Bundesgerichtshof (BGH) hat das
Selbstbestimmungsrecht von Patienten gestärkt. Ärzte sind nicht
verpflichtet, Patienten nach einem Suizidversuch gegen deren Willen
das Leben zu retten, entschied der 5. Strafsenat des BGH am Mittwoch
in Leipzig. Er bestätigte damit zwei Freisprüche der Landgerichte in
Berlin und Hamburg. «Entscheidend ist die Freiverantwortlichkeit des
Selbsttötungsentschlusses», begründete der Vorsitzende Richter
Norbert Mutzbauer die Entscheidung. Der BGH lockerte mit seinem
Urteil die bisherige Rechtssprechung zum Umgang von Ärzten mit
sterbewilligen Patienten. (Az.: 5 StR 132/18 und 5 StR 393/18)

Der BGH verhandelte zwei Fälle, bei denen Mediziner aus Berlin und
Hamburg körperlich kranke Menschen nach der Einnahme tödlicher
Medikamente bis zum Tod begleitet hatten, ohne ihnen das Leben zu
retten. Sie hatten sich wegen Tötungsdelikten verantworten müssen.
Zwei ältere Frauen aus Hamburg hatten sich 2012 entschlossen, aus dem
Leben zu scheiden. Der heute 67-jährige Arzt war dabei, als sie die
tödlichen Medikamente einnahmen und begleitete ihr Sterben. Zuvor
hatte er ihnen eine uneingeschränkte Einsichts- und Urteilsfähigkeit
attestiert.

Außerdem ging es um eine chronisch kranke 44-Jährige aus Berlin, die
2013 ihr Leben beendete. Ihr heute 70 Jahre alter Hausarzt hatte ihr
ein starkes Schlafmittel verschrieben. Davon nahm sie eine mehrfach
tödliche Dosis. Dann informierte sie den Arzt, der nach der komatösen
Frau sah, aber keine Rettungsmaßnahmen ergriff.

«Die Tatherrschaft lag bei ihr», führte Mutzbauer in der
Urteilsbegründung aus. Die Patientinnen hätten ihre Entscheidungen
eigenverantwortlich getroffen. «Ein Arzt kann nicht verpflichtet
werden, gegen den Willen des Suizidenten zu handeln», sagte der
Vorsitzende Richter. Das Selbstbestimmungsrecht überlagert demnach
auch die Garantenpflicht, die ein Hausarzt seinem Patienten gegenüber
hat, also die Pflicht ihn zu schützen. Damit erleichterte das Gericht
die Durchführung von Patientenverfügungen, die seit 2009 im
Zivilrecht vorgesehen sind.

Der BGH verwarf die von der Staatsanwaltschaft eingelegte Revision
und erklärte die Freisprüche der Landgerichte in Berlin und Hamburg
für rechtskräftig. Mit dem Urteil folgte der BGH der Forderung der
Generalbundesanwaltschaft. «Insgesamt halte ich eine vorsichtige
Kurskorrektur für angebracht», sagte Michael Schaper von der
Generalbundesanwaltschaft mit Blick auf die bisherige Rechtsprechung
des BGH.

1984 hatte das Bundesgericht im sogenannten Peterle-Urteil
entschieden, dass Ärzte sich unter Umständen doch strafbar machen,
wenn sie bewusstlose Patienten nicht zu retten versuchen. Der
Hausarzt hatte damals eine Frau nicht ins Leben zurückgeholt, die
sich aus freien Stücken umbringen wollte. Der BGH sprach den Arzt
damals zwar frei, allerdings nur, weil die Frau nur mit schweren
Schäden wieder ins Leben geholt hätte werden können.

«In einem eher säkularen Staat wie der Bundesrepublik Deutschland
kann eine religiöse Überzeugung keine Strafgrundlage darstellen»,
sagte er mit Blick auf Argumente von Gegnern der Sterbehilfe. Viele
argumentierten mit einem von Gott gegebenen Leben, Selbsttötung sei
demnach streng zu missbilligen.

Andererseits sieht Schaper die «Gefahr eines Dammbruchs ethischer
Hemmschwellen» bei einer zu liberalen Rechtsprechung. Er habe Sorge,
dass Schwerkranke sich verpflichtet fühlten, ihrem Leben ein Ende zu
setzen, um Angehörigen nicht zur Last zu fallen. Daher plädierte
Schaper dafür, dass vor einem Freitod Voraussetzungen erfüllt sein
müssen: Der Patient dürfe nicht unter Druck stehen und seine freie
Entscheidung wohl überlegen. In seiner Urteilsbegründung folgte
Mutzbauer diesen Forderungen.

Aktive Sterbehilfe ist in Deutschland nicht erlaubt. Seit 2015 gilt
zudem das Verbot der «geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötu
ng».
Dieses zielt auf Sterbehilfe als Geschäftsmodell organisierter
Vereine. Gegen das Verbot haben schwerkranke Menschen, Ärzte und
Sterbehilfe-Vereine beim Bundesverfassungsgericht geklagt. Eine
Entscheidung in Karlsruhe wird im Herbst erwartet. Weil die vom BGH
behandelten Fälle älter waren, spielte das Gesetz keine Rolle in dem
Verfahren.