Europaparlament wählt Präsidenten - Kommt der Rats-Vorschlag durch?

Die Vorschläge der Staats- und Regierungschefs für das künftige
EU-Spitzenpersonal sind keineswegs Selbstläufer im Europaparlament.
Vor allem Ursula von der Leyen ist umstritten.

Brüssel/Straßburg/Berlin (dpa) - Nachdem die europäischen Staats- und

Regierungschefs ihre Vorschläge für das künftige EU-Spitzenpersonal
vorgelegt haben, stimmt am Mittwoch (09.00) das Europaparlament über
seinen künftigen Präsidenten ab. Nach den Vorstellungen des Rates
soll ein Kandidat der Sozialisten für die erste Hälfte der Amtszeit
gewählt werden. Zur Mitte der Amtsperiode solle dann der Kandidat der
Europäischen Volkspartei (EVP) gewählt werden. Nach Darstellung von
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) soll dies der EVP-Spitzenkandidat bei
der Europawahl, Manfred Weber (CSU), sein. Die Sozialisten schlugen
inzwischen den Italiener David-Maria Sassoli vor.

Ob die Parlamentarier allerdings den Vorschlägen der Staats- und
Regierungschefs folgen, ist offen. Die Europäischen Grünen schlugen
die deutsche Europaabgeordnete Ska Keller für die Nachfolge von
Antonio Tajani vor. Die Linksfraktion tritt mit der spanischen
Abgeordneten Sira Rego von der Partei Izquierda Unida an und die
rechte EKR mit ihrem Vorsitzenden Jan Zahradil aus der Tschechischen
Republik. Ein Kandidat benötigt die absolute Mehrheit, um die Wahl zu
gewinnen. Es kann maximal vier Wahlgänge geben, am letzten dürfen nur
noch die zwei Kandidaten mit den meisten Stimmen teilnehmen. Das Amt
des Parlamentspräsidenten wird für zweieinhalb Jahre besetzt. Er kann
danach aber ein zweites Mal gewählt werden.

Nach zähem Ringen verständigten sich die Staats- und Regierungschefs
am Dienstagabend auf ihrem Sondergipfel in Brüssel auf ein Tableau
für das künftige europäische Spitzenpersonal. Die deutsche
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) soll demnach neue
Kommissionspräsidentin werden. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) musste
sich enthalten, weil der Koalitionspartner SPD nicht mitzog. Auch im
EU-Parlament, das von der Leyen wählen müsste, regte sich sofort
Widerspruch. Von der Leyen wolle bereits an diesem Mittwoch nach
Straßburg kommen und Gespräche mit den Fraktionen führen, erfuhr dpa

aus EVP-Kreisen.

Von der Leyen könnte, wenn sie denn vom Parlament bestätigt wird, die
erste Frau an der Spitze der EU-Kommission werden. Ratspräsident wird
der liberale belgische Ministerpräsident Charles Michel, der
spanische Außenminister Josep Borrell soll EU-Außenbeauftragter
werden. Der niederländische Sozialdemokrat Frans Timmermans, der
zwischenzeitig als Kommissionspräsident gehandelt wurde, behält sein
Amt als Vizepräsident. Die französische Chefin des Internationalen
Währungsfonds, Christine Lagarde, wird Präsidentin der Europäischen
Zentralbank.

Weber gab am Dienstagabend sein Mandat als Spitzenkandidat der EVP
zurück. Er stellte sich zugleich hinter die Nominierung von der
Leyens. Weber wollte eigentlich selbst Kommissionschef werden und
sagte, es sei ein schwerer Tag für ihn. Wichtig sei, dass mit von der
Leyen eine Politikerin aus seiner Parteienfamilie kommen soll. Er
habe von der Leyen in die EVP-Fraktion eingeladen. Weber sprach von
einem «traurigen Tag für die europäische Demokratie». Und: «Diese
s
Paket ist nicht mein Paket. Aber ich trage es loyal mit.»

Das Europaparlament stimmt nicht nur über seinen Präsidenten ab,
sondern - voraussichtlich Mitte Juli - auch über die künftige
Kommissionschefin. Ob von der Leyen hier eine Mehrheit bekommt, ist
offen. Grüne, Linke und die AfD äußerten bereits heftige Kritik. Die

Kommission würde dann «seeuntüchtig wie die Gorch Fock», sagte der

AfD-Vorsitzende und Europa-Abgeordnete Jörg Meuthen in Anspielung auf
das marode Segelschulschiff der Bundeswehr. Der SPD-Europapolitiker
Udo Bullmann wetterte, der Deal sei nicht akzeptabel.

Auch die kommissarische SPD-Spitze lehnt die Personalie von der Leyen
strikt ab. «Damit würde der Versuch, die Europäische Union zu
demokratisieren, ad absurdum geführt», kritisierten Manuela Schwesig,
Malu Dreyer und Thorsten Schäfer-Gümbel. Zu möglichen Konsequenzen
für die große Koalition in Berlin äußerten sich die kommissarischen

SPD-Chefs aber nicht.

Im Umfeld sozialdemokratischer Regierungsmitglieder hieß es recht
lapidar, eine Koalitionskrise werde deswegen wohl nicht heraufziehen.
Merkel sei im Rat nach dem vereinbarten klassischen Verfahren für
solche Situationen vorgegangen und habe sich eben wegen der
Uneinigkeit in der Koalition enthalten.

Sollte die SPD die Koalition wegen dieser Entscheidung verlassen,
müsste sie den Menschen im folgenden Wahlkampf erklären, dass sie
wegen der ersten deutschen Frau an der Spitze der Kommission
ausgestiegen sei. An diesem Mittwoch (9.30 Uhr) kommt Merkel wie
gewohnt mit ihrem schwarz-roten Kabinett zusammen. Dann wird sich
zeigen, wie sich diese Entscheidung auf die Koalitionsarbeit
auswirkt.

Und wer könnte von der Leyen am Kabinettstisch nachfolgen, wenn sie
tatsächlich nach Brüssel wechselt? Nach Informationen der Deutschen
Presse-Agentur aus der Union sind Gesundheitsminister Jens Spahn
sowie die Verteidigungsexperten Johann Wadephul und Henning Otte
(alle CDU) für das Amt im Gespräch. Auch Ex-CDU-Generalsekretär und
Verteidigungsstaatssekretär Peter Tauber hat demnach Chancen auf das
Amt. Er habe sich in der Truppe große Beliebtheit erworben, hieß es
aus mehreren Quellen. Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer,
die in Spekulationen ebenfalls als mögliche Nachfolgerin von der
Leyens genannt worden war, habe abgelehnt, hieß es nach diesen
Informationen.