Scholz: SPD kann Kanzler stellen - Klingbeil: Union muss liefern

Die krisengeschüttelte SPD demonstriert Selbstbewusstsein gegenüber
dem Koalitionspartner: Die Union müsse liefern, wenn das Bündnis
halten soll. Besonders optimistisch blickt der Finanzminister in die
Zukunft.

Berlin (dpa) - Trotz der desolaten Lage seiner Partei sieht
Finanzminister Olaf Scholz (SPD) noch Chancen für die
Sozialdemokraten, bald wieder den Kanzler zu stellen. «Die Chance,
stärkste Partei zu werden, ist bei der nächsten Bundestagswahl
deutlich größer als in vielen Jahren zuvor», sagte Scholz dem
«Stern». SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil machte den Fortbestand
der Koalition vom Verhalten der Union abhängig.

Scholz sagte, es werde zum ersten Mal seit 1949 einen Wettbewerb um
das Kanzleramt geben, bei dem keine Partei einen Kanzler oder eine
Kanzlerin ins Rennen schicke. «Wenn wir es gut machen, haben wir also
eine Chance.»

Klingbeil sagte der Deutschen Presse-Agentur: «Ob die Koalition die
Halbzeitbilanz übersteht, hängt davon ab, ob die Union bereit ist,
die festgelegten und vereinbarten Dinge auch zu liefern.» Von der
Halbzeitbilanz wird in der SPD eine Entscheidung über die Zukunft der
Koalition erwartet.

Die große Koalition befindet sich nach dem Rücktritt von SPD-Partei-
und Fraktionschefin Andrea Nahles in schwerem Fahrwasser. Die Partei
wird zunächst kommissarisch vom einem Trio, bestehend aus den
Vize-Vorsitzenden Manuela Schwesig, Malu Dreyer und Thorsten
Schäfer-Gümbel, geführt. Interims-Fraktionsvorsitzender ist der
Außenexperte Rolf Mützenich.

Klingbeil betonte: «Die Koalition ist nicht in der Krise, nur weil
die SPD nach einem Personalwechsel eine neue Führung hat - in der
Partei und in der Fraktion.» Schwierig sei für die Regierung, «dass
wir bei vereinbarten Themen nicht vorankommen». Das Kanzleramt blocke
das Klimaschutzgesetz. «Beim Thema Grundrente haben wir eine
Verkantung.»

Der frühere SPD-Chef Sigmar Gabriel regte an, bei der Suche nach
einem neuen Parteivorsitzenden auch Nichtmitglieder einzubeziehen. Er
sei sehr dafür, Spitzenkandidaten für politische Ämter nicht nur in
einer Urwahl der Mitglieder zu bestimmen, sondern auch in Vorwahlen,
so wie das in Frankreich, Italien oder den USA gemacht werde, sagte
Gabriel am Mittwoch in Frankfurt.

Unions-Fraktionsvize Andreas Jung (CDU) forderte Scholz auf, bald
einen Entwurf für die Abschmelzung des Solidaritätszuschlages
vorzulegen. Die Mittel dafür seien eingeplant, sagte Jung der dpa.
Zugleich bekräftigte er: «Und sobald es geht, wollen wir als Union
dann die Abschaffung des Soli für alle.»

In der CDU gab es unterdessen Ermahnungen hin zu einem klaren Kurs
der Partei. «Wir sollten aufhören, die eigene politische Ratlosigkeit
zu verwalten», sagte der Abgeordnete Norbert Röttgen der
Wochenzeitung «Die Zeit» mit Blick auf die Klimapolitik. Man dürfe
kein «Führungsvakuum» aufkommen lassen. Bundesgesundheitsminister
Jens Spahn sagte: «Wir vermitteln den Eindruck, zu sehr im
Klein-Klein verstrickt zu sein, zu wenige große, konkrete Schritte zu
machen.» Die Bewegung «Fridays for Future» mit Schülerprotesten f
ür
den Klimaschutz habe einen konservativen Kern. «Die wollen etwas
bewahren. Mit diesem Anknüpfungspunkt hat sich meine Partei
noch nicht genug befasst», sagte Spahn.