Regieren gegen den Untergang - Was kriegt die Groko noch hin? Von Basil Wegener und Ruppert Mayr, dpa

Kriegen Union und SPD zusammen noch die Kurve? Auf dem Arbeitstisch
der Koalition haben sich große Streitthemen angesammelt. Die Zukunft
der Regierung hängt auch davon ab, was sie hier nun hinkriegt.

Berlin (dpa) - Das schwarz-rote Bündnis wird immer lauter totgesagt.
Das steigert den Druck auf die Partner, ihre Fähigkeit zur
Problemlösung zu zeigen. So wollen sie an diesem Freitag ihr
Gesetzespaket zu Migration und Asyl im Bundestag verabschieden. Ob
Union und SPD auch bei anderen großen Streitthemen noch
zusammenkommen, steht allerdings in den Sternen. Wenn nicht: Wer
bekommt den Schwarzen Peter vom Bürger untergeschoben?

Bisher hat die Koalition mehr auf den Weg gebracht, als ihr zugetraut
wird - etwa die Erweiterung der Mütterrente, das Baukindergeld, das
Recht auf befristete Teilzeit, das «Gute-Kita-Gesetz», Regeln für
schnellere Arzttermine und Entlastungen für gesetzlich
Krankenversicherte oder Familien.

Voller Stolz präsentierten die Koalitionäre diese Woche ihre Pläne
für mehr Pflegekräfte und ihre Einigung zu den acht Gesetzesvorhaben
zur Migration. So als wollten sie sagen: Seht her, wir arbeiten, es
geht doch. Das Migrationspaket soll neue Fachkräfteeinwanderung
bringen und einigen abgelehnten Asylbewerbern, die schon im Land
sind, eine Chance auf Daueraufenthalt eröffnen. Auf der anderen Seite
soll es den Behörden mehr Werkzeuge an die Hand geben, Ausländer ohne
Bleiberecht außer Landes zu befördern.

«Ob die Koalition die Halbzeitbilanz übersteht, hängt davon ab, ob
die Union bereit ist, die festgelegten und vereinbarten Dinge auch zu
liefern», sagt SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil. Für CSU-Chef
Markus Söder steht aber fest: Es gebe keinen politischen Rabatt für
die SPD.

Was liegt jetzt auf dem Tisch der Koalition?

KLIMASCHUTZ: Unter dem Eindruck des grünen Höhenflugs haben sich
Union und SPD hier total verhakt. Mit ihrem Entwurf für ein
Klimaschutzgesetz stieß Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) auf
heftige Gegenwehr von CDU und CSU. Umstritten ist eine CO2-Steuer -
der Ausstoß des Treibhausgases etwa beim Autofahren und Heizen wäre
teurer, dafür soll es sozialen Ausgleich geben. Normalverdiener
sollen jedenfalls nicht die Zeche zahlen. Schon Mitte Juli soll das
Klimakabinett der Regierung tagen, bis Herbst sollen
Grundsatzentscheidungen fallen. Nach den Schülerprotesten für den
Klimaschutz, der wirkungsmächtigen Kritik von Youtubern wie Rezo und
dem mauen CDU-Ergebnis bei der Europawahl hat sich auch Kanzlerin
Angela Merkel in der Unionsfraktion für mehr Tempo beim Klimaschutz
ausgesprochen. Auch über eine Bepreisung des CO2-Ausstoßes müsse
beraten werden. Die Wahrscheinlichkeit steigt, dass die Koalition bei
dem Megathema in diesem Jahr etwas hinkriegt.

RENTE: Die SPD hat die Grundrente ohne Prüfung der Bedürftigkeit zu
einem ihrer zentralen Projekte auserkoren. Alle stehen hier hinter
dem Gesetzentwurf von Arbeitsminister Hubertus Heil. Der rund vier
Milliarden Euro teure Aufschlag kleiner Renten soll unter anderem
durch die erst noch geplante europäische Finanztransaktionssteuer
bezahlt werden. Die Union hat die Bedürftigkeitsprüfung, wie im
Koalitionsvertrag festgeschrieben, zur Bedingung gemacht und lehnt
die Finanzierungsvorschläge ab. Wenn die SPD einen Auslöser sucht,
aus der Koalition auszusteigen - die Grundrente könnte es sein.

STEUERN: Spät kam die Einsicht bei der Union, dass man nach zehn
Jahren guter Konjunktur und erfreulicher Steuereinnahmen auch dem
Steuerzahler mal einen ordentlichen Teil zurückgeben kann. Im
Koalitionsvertrag verständigten sie sich mit der SPD darauf, etwa auf
die Hälfte der rund 20 Milliarden Euro Einnahmen des Bundes durch den
Solidaritätszuschlag zu verzichten. Das trifft etwa 90 Prozent der
unteren und mittleren Einkommen. Kurz danach fingen die Rufe nach
einer Komplettabschaffung an - zunächst in der CSU. Inzwischen ist
dies Programm der Union. In der SPD will man Spitzenverdienern nichts
davon zurückgeben. Und Finanzminister Olaf Scholz hat schon
klargestellt: Die fetten Jahre sind vorbei, nichts geht mehr. Es
dürfte für die Union schwierig werden, ihre Position nun noch in
dieser Koalition durchzusetzen. Unionsfraktionsvize Andreas Jung
forderte Scholz auf, wenigstens den Entwurf für die verabredete
Entlastung der 90 Prozent Solizahler endlich vorzulegen. Denn die
rund zehn Milliarden sind schon in die Finanzplanung eingepreist. Am
Soli dürfte das Bündnis nicht zerbrechen.

HAUSHALT: Wenn die große Koalition arbeitsfähig bleibt, dürften der
Haushalt für das kommende Jahr und die Finanzplanung für die
Folgejahre regulär Ende November verabschiedet werden. Die Union
besteht auf der «Schwarzen Null» und schließt Steuererhöhungen aus.

Einige andere Fragen sind zwar noch offen - etwa die Höhe des
Verteidigungsetats. Doch dies scheint überschaubar. Je nachdem aber,
welche Richtung in der SPD sich in den kommenden Wochen durchsetzen
wird, könnte schnell wieder Streit über den Etat 2020 und vor allem
die Finanzplanung für die kommenden Jahre ausbrechen.

EUROPA: Für die Union geht es in Brüssel in den nächsten Wochen
darum, ihren Spitzenkandidaten für die Europawahl, Manfred Weber,
durchzusetzen. Die konservative Parteiengruppe EVP, der CDU und CSU
angehören, ist zwar weiter stärkste Fraktion im EU-Parlament, doch
sie braucht Unterstützung für ihren Kandidaten. Die Sozialdemokraten
wollen sich jedoch hinter den Spitzenkandidaten ihrer Parteienfamilie
in der EU, den Niederländer Frans Timmermans, stellen. Selbst wenn
die SPD umschwenken würde, wäre für eine Besetzung des
Kommissionspräsidenten durch Weber noch Unterstützung weiterer
Parteien nötig.