Bundesgericht: Honorarärzte in Kliniken sind oft nicht selbstständig

Kliniken greifen bei Personalnot gern auf Ärzte als freie Mitarbeiter
zurück. Doch nach Ansicht der Deutschen Rentenversicherung sind die
Mediziner oft gar nicht selbstständig. Nun gibt es ein Urteil des
Bundessozialgerichts, das weitreichende Folgen haben könnte.

Kassel (dpa) - Kliniken dürfen Ärzte nur im Ausnahmefall als freie
Mitarbeiter beschäftigen. Das geht aus einem Urteil des
Bundessozialgerichts (BSG) von Dienstag hervor. Bisher griffen vor
allem Kliniken im ländlichen Raum gern auf freiberufliche Mediziner
zurück, um Personallücken zu schließen. Doch Honorarärzte seien kei
ne
Lösung für einen etwaigen Fachkräftemangel: «Krankenhäuser und
Ärzte
können die soweit bestehenden Probleme nicht dadurch lösen, dass sie
einen Honorarvertrag vereinbaren», sagte BSG-Präsident Rainer
Schlegel. (Az.: B 12 R 11/18 R und weitere)

Honorarärzte sind flexibel und zeitlich begrenzt einsetzbar. Für die
Ärzte ist die Tätigkeit attraktiv, weil sie mehr Geld erhalten als
bei einer Festanstellung. Doch die Deutsche Rentenversicherung war
bei Überprüfungen zu dem Schluss gekommen, dass die Honorarärzte
oftmals nicht wie Freiberufler beschäftigt werden, sondern wie
abhängig Beschäftigte. Damit muss für sie Arbeitslosenversicherung
und teilweise auch Rentenversicherung abgeführt werden.

Dagegen hatten Mediziner, Kliniken und Krankenhausträger aus mehreren
Bundesländern geklagt. Insgesamt wurden vor dem BSG am Dienstag elf
Fälle verhandelt. Als Leitverfahren mit Vorbildfunktion wurde ein
Fall aus Bayern ausgewählt, bei dem eine Fachärztin für Anästhesie

(Betäubung) im Tag- und Bereitschaftsdienst in zwei Kliniken des
Landkreises Aichach-Friedberg gearbeitet hatte.

Die Medizinerin sei nicht freiberuflich tätig gewesen, urteilten die
Richter: «Entscheidend ist, ob die Betroffenen weisungsgebunden
beziehungsweise in eine Arbeitsorganisation eingegliedert sind.» Das
sei bei Ärzten in einem Krankenhaus regelmäßig gegeben.
Unternehmerische Entscheidungsspielräume seien bei der Tätigkeit im
Krankenhaus oft nicht gegeben.

Im Vorfeld der Verhandlungen hatten sich die Streitparteien klare
Regeln erhofft, wann ein Arzt als selbstständig gilt und wann nicht.
Doch die Hoffnung wurde enttäuscht: «Das ist ein großer grauer Nebel,

in dem die Dinge nur schwer zu fassen sind», sagte der Vertreter der
Deutschen Rentenversicherung. BSG-Präsident Schlegel erklärte, warum
es keine exakte Definition gibt: «Dem Gesetzgeber war bewusst, dass
er es nicht kann angesichts der Dynamik der Arbeitswelt.»

Juristen und Mediziner erwarten erhebliche Auswirkungen des Urteils:
«Das aktuelle BSG-Urteil verschärft die Personalsituation deutscher
Krankenhäuser und wird die Versorgungsrealität im deutschen
Gesundheitswesen spürbar ändern», sagte Sören Langner, Fachanwalt f
ür
Arbeitsrecht und Partner der Wirtschaftskanzlei CMS Deutschland.
Ähnliches erwartet Nicolai Schäfer, Vorsitzender des Bundesverbands
der Honorarärzte. Das Urteil werde die Zeitarbeit als Alternative zum
Honorararzt fördern und Kosten erhöhen.