Seehofer: Für mich ist 2021 Schluss in der Politik Interview: Anne-Beatrice Clasmann und Martina Herzog, dpa

Dass man ständig fragt, wie lange er noch Minister ist, findet Horst
Seehofer lästig. So lange wie Angela Merkel will er allemal im
Kabinett bleiben, länger aber wohl nicht. Im dpa-Interview weist er
zudem den Vorwurf, ein Unruhestifter der Regierung zu sein, zurück.

Berlin (dpa) - Die hektischen Personaldebatten im Nachgang zur
Europawahl findet Bundesinnenminister Horst Seehofer überflüssig. Mit
Blick auf die anstehenden Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und
Thüringen rät der CSU-Politiker in einem Interview der Deutschen
Presse-Agentur: «Man muss vor allem den Volksverführern die Munition
aus der Hand nehmen.»

Frage: Wer hat jetzt nach der Europawahl die unangenehmere Position,
CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer oder die
SPD-Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles?

Antwort: An Wahltagen muss man Rechenschaft ablegen, unabhängig
davon, ob man selbst Spitzenkandidat war oder nicht. Ich finde, dass
man auch da klug und besonnen handeln sollte - ohne hektische
Reaktionen - und nicht über Personalien reden, denn damit macht man
die Lage nicht besser.

Frage: Wie lange kann Kramp-Karrenbauer die Position als Kanzlerin im
Wartestand durchhalten?

Antwort: Ich sehe nicht, warum das nicht funktionieren sollte, zumal
sich Angela Merkel und die CDU-Vorsitzende gut verstehen. Das ist ja
ganz offensichtlich ein Tandem.

Wir müssen uns um die ökologischen Fragen kümmern. Das habe ich schon

als bayerischer Ministerpräsident gegenüber meiner Landtagsfraktion
gegen viele Widerstände durchgefochten.

Frage: Sie sind also der alte Öko, auf den nie einer hören wollte?

Antwort: Ich habe immer auf das Soziale und das Ökologische geschaut.
In Bayern wollte ich noch einen dritten Nationalpark entlang der
Donau ausweisen. Umweltschutz gehört in der modernen Zeit zum
Kernbestand einer Volkspartei.

Frage: Sie sind ganz glücklich jetzt mit Ihrer neuen Rolle als
friedlicher Innenminister? Aus der Unionsfraktion kommt deshalb ja
inzwischen sogar Kritik. Es heißt, Sie würden mit den SPD-Ministern
nicht hart genug verhandeln.

Antwort: In einer Koalition kann es immer nur ein Geben und Nehmen
geben.

Frage: Was können Sie als Heimatminister tun, damit sich Menschen in
ihrer Region nicht abgehängt fühlen, unzufrieden sind und sich dann
vielleicht von den etablierten Parteien abwenden?

Antwort: Ich kann als Heimatminister dafür sorgen, dass neue Behörden
nicht in Ballungsräumen angesiedelt werden. Deshalb kommt jetzt zum
Beispiel eine Außenstelle des Bundesamtes für Sicherheit in der
Informationstechnik nach Sachsen, in die Nähe von Freital. Und bei
der Verkehrsplanung darf es nicht nur um Wirtschaftlichkeit gehen,
auch die Menschen in ländlichen Gebieten haben ein Anrecht auf Zugang
zu allen Infrastrukturmaßnahmen. In Görlitz und Umgebung müssen wir
uns um Sicherheitsfragen kümmern, wenn zum Beispiel in der
Grenzregion massenhaft Diebstahl begangen wird. Dann muss ich als
Bundesminister dem Freistaat Sachsen für die Grenzkontrolle mehr
Polizeibeamte geben, und das werde ich auch tun.

Frage: Wir dachten, Sie wollen keine Grenzkontrollen außer an der
Grenze zu Österreich?

Antwort: Ja, ich will woanders keine Schlagbäume. Aber wir wollen den
grenznahen Raum besser kontrollieren. Dafür werden in Sachsen
deutlich mehr Bundespolizisten eingesetzt. Das sind die Antworten auf
extreme politische Parolen.

Frage: Heißt das, es geht allein um regionale Probleme und nicht um
ein anderes Demokratieverständnis im Osten?

Antwort: Nein, es geht nicht um anderes Demokratieverständnis.
Natürlich gibt es auch kulturelle Prägungen und historische Gründe.
Aber man muss vor allem den Volksverführern die Munition aus der Hand
nehmen. Denn die reden den Menschen ein, sie würden benachteiligt und
nicht ernst genommen.

Frage: Wie sehen Sie als ehemaliger Dienstherr die Aktivitäten des
früheren Verfassungsschutz-Präsidenten und CDU-Mitglieds Hans-Georg
Maaßen?

Antwort: Mir ist er lieber bei der CDU als sonst wo, denn er ist ja
fachlich qualifiziert. Bis jetzt habe ich nichts entdeckt, wo ich
sagen würde, «so geht es wirklich gar nicht».

Frage: Wurde in der Migrationsfrage inzwischen etwas gelöst?

Antwort: National haben wir das Migrationsgeschehen inzwischen
geordnet; ich kann sagen, wir haben es im Griff und steuern es
besser. Europäisch sind wir meilenweit von einer Lösung entfernt. Zur
Entspannung trägt weiter die EU-Türkei-Erklärung bei. Wenn ein Schiff

der Seenotrettung vor Italien liegt, dann ruft man mich an, ob wir
bereit sind, sieben oder zwölf Personen aufzunehmen. Die meisten
anderen Mitgliedstaaten schweigen leider.

Frage: Wie läuft es mit Ihnen und dem neuen CSU-Vorsitzenden Markus
Söder?

Antwort: Wir haben einen ordentlichen Dualismus. Ich beschäftige mich
nicht mit der Tagespolitik in Bayern. Und umgekehrt. Es funktioniert
in unserer Zusammenarbeit tadellos.

Frage: Wie soll man sich an Sie erinnern als Politiker?

Antwort: Was mich bewegt, das ist nicht diese Machtpolitik. Immer
diese Fragen: Wie war das im letzten Sommer? Wie ist das mit Söder?
Mit den bescheidenen Möglichkeiten, die wir als Regierungsmitglieder
haben, sollten wir die Lage für die Menschen ein Stückchen
verbessern.

Nehmen Sie die Grundrente. Jemand, der Grundrente erhält, sollte mit
seinem Einkommen auch sehr unbürokratisch beleuchtet werden,
vielleicht alle drei Jahre einmal. Da gibt es ja insbesondere viele
Frauen, Rentnerinnen, die nebenher beim Discounter die Regale
befüllen oder putzen. So jemand sollte nicht jeden Euro, den er
hinzuverdient, gleich wieder bei der Rentenversicherung melden
müssen. Aber wenn zum Beispiel auch meine Ehefrau diese Grundrente
bekäme, das wäre doch absurd. Lasst uns doch überlegen, wie wir das
unbürokratisch machen können.

Eine Volkspartei muss immer versuchen, Gegensätze zu vereinen. Als es
um den Ausstieg aus der Atomkraft ging, hat die Kanzlerin gesagt: Ihr
habt im Westen etwas Wunderbares geschaffen, die Versöhnung von
Arbeit und Kapital. Lasst uns das Gleiche versuchen mit Ökologie und
Ökonomie. Sie hat gesagt: Es ist uns nicht gelungen, einen Konsens
herzustellen in der Gesellschaft bezüglich Kernkraft, also braucht es
die Aussöhnung. Das war in der CSU ganz schwer durchzusetzen.

Was soll mich mit 70 Jahren noch aus der Ruhe bringen? Ich bin mit
Sicherheit keiner Wahl mehr ausgesetzt. Mir macht das Amt als
Innenminister jetzt nochmal Spaß, auch wenn es extrem anstrengend
ist. Insgesamt komme ich auf 50 Jahre in der Politik. Das reicht dann
mit Auslaufen dieser Legislaturperiode wirklich.

Frage: Wann haben Sie das entschieden?

Antwort: Das war mir eigentlich klar, wie ich als Innenminister
hierher nach Berlin kam.

Frage: Kennen Sie eigentlich Gottfried Curio, den Innenpolitiker von
der AfD?

Antwort: Nicht näher.

Frage: Aber Sie kennen seine Redebeiträge?

Antwort: Ja, ich höre auch zu. Und es zeigt mir wieder, wie wichtig
es ist, sich sauber und klar abzugrenzen von bestimmten Kräften mit
ihren kompromisslosen Formulierungen.

Frage: Wie würden Sie seine Formulierungen beschreiben?

Antwort: Mit solchen Leuten können Sie keinen vernünftigen Kompromiss
für breitere Schichten der Bevölkerung machen.

Frage: Ist das Thema Migration aus Sicht der Bevölkerung nun wirklich
gelöst oder kann das wieder hochkochen?

Antwort: Es ist gut, dass wir die Begrenzung haben auf 200 000
Menschen pro Jahr. Wenn wir das nicht mehr überschreiten, wird der
Spuk mit Rechtsradikalen irgendwann vorübergehen.

Frage: Wie läuft die Zusammenarbeit mit Italiens Innenminister
(Matteo) Salvini?

Antwort: Nach dem Treffen Salvinis mit der AfD und mit Marine Le Pen
waren für mich politische Vereinbarungen nicht mehr möglich,
jedenfalls nicht über das hinaus, was unter normale Zusammenarbeit
zwischen Staaten fällt. Da ist eine Vertrauensbasis kaum möglich.

ZUR PERSON: Horst Seehofer (69) hat in seiner langen politischen
Karriere schon viele Höhen und Tiefen erlebt. Er war
Bundesgesundheitsminister, bayerischer Ministerpräsident. Seit März
2018 steht er dem Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat
vor. Im Sommer 2018 war er einer der Hauptakteure einer
Regierungskrise, die sich am Streit zwischen CDU und CSU um die
Asylpolitik entzündet hatte. Mehr als zehn Jahre lang war Seehofer
CSU-Vorsitzender. Im Januar trat Markus Söder seine Nachfolge an.