Kann Milch Krebs verursachen? Von Janne Kieselbach, dpa

Als Joghurt, Käse oder pur: Kuhmilch kommt bei vielen Menschen
täglich auf den Tisch. Jetzt warnen manche Forscher: Milch ist
krebserregend. Andere halten das für Quark. Ein Faktencheck.

Berlin (dpa) - «Milch macht müde Männer munter» - mit diesem Slogan

warb die Milchindustrie in den Fünfzigerjahren um die Aufmerksamkeit
der Kunden. Und so manches Kind musste lernen, dass nur groß und
stark wird, wer Milch trinkt. Doch mittlerweile bekommt das Bild vom
gesunden Nahrungsmittel Kratzer: Einige Forscher äußern den Verdacht,
dass bestimmte Bestandteile von Milch Krebs verursachen können. Was
ist dran an der These?

BEWERTUNG: Tatsächlich gibt es vage Hinweise darauf, dass Kuhmilch
Erreger enthält, die eine Entstehung von Krebszellen begünstigen
könnten. Belastbare Forschungsergebnisse gibt es aber noch nicht.

FAKTEN: Anlass für die Vermutung, dass der Verzehr von Milch zur
Entstehung von Krebs beitragen könnte, liefern unter anderem
Beobachtungsstudien in Bevölkerungen, wie das Deutsche
Krebsforschungszentrum (DKFZ) berichtet. So gebe es zum Beispiel in
Ländern mit hohem Milch- und Rinfleischkonsum auch hohe
Darmkrebsraten.

Für Aufsehen sorgten im Februar neue Erkenntnisse des
Medizin-Nobelpreisträgers Harald zur Hausen und des DKFZ. Die
Forscher fanden in Kuhmilch und in Rindfleisch bislang unbekannte
Erreger, von denen Gefahr für den Menschen ausgehen könnte. Die
sogenannten Bovine Meat and Milk Factors (BMMF) stehen laut DKFZ im
Verdacht, chronische Entzündungen zu verursachen, die wiederum ein
höheres Risiko für Dickdarm- und möglicherweise auch für Brust- und

Prostatakrebs zur Folge haben.

Für ihre Studie untersuchten zur Hausen und seine Kollegen Blutseren
von Hunderten europäischen Milchkühen und analysierten Milch und
Milchprodukte aus Supermärkten. Außerdem entnahmen sie Blutproben von
gesunden Menschen und Darmkrebs-Patienten. Das Ergebnis war nach
Aussage der Forscher deutlich: Die BMMF fanden sich nicht nur in den
tierischen Produkten, sondern auch in den untersuchten menschlichen
Zellen. Noch nicht zuverlässig abschätzen lasse sich hingegen, wie
bedeutend die Erreger für die Entstehung von Tumoren seien.

Die Wissenschaftler vermuten, dass sich Menschen schon innerhalb
ihres ersten Lebensjahres mit BMMF infizieren, weil ihr Immunsystem
in diesem Zeitraum noch nicht ausgereift ist. Daraus folgern die
Experten, dass Säuglinge nicht zu früh mit Kuhmilch gefüttert,
sondern lieber bis zum zwölften Monat gestillt werden sollten. Im
Erwachsenenalter hingegen nütze ein Verzicht auf Kuhmilch und
Rindfleisch nichts, weil die Infektion dann bereits erfolgt sei.

Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hebt hervor, dass diese
Erkenntnisse und Empfehlungen auf einer sehr dünnen Datengrundlage
beruhen. Inwieweit BMMF das Krebsrisiko beeinflussen, könne noch
nicht zuverlässig bewertet werden, heißt es in einer Stellungnahme,
die vor wenigen Wochen veröffentlicht wurde. Eine weitere Erforschung
der Infektionserreger sei dringend notwendig. Für das BfR arbeiten
unabhängige Wissenschaftler, die mit ihren Ergebnissen der
Bundesregierung beratend zur Seite stehen.

Zwar schließt das BfR nicht aus, dass die von zur Hausen vorgebrachte
These stimmt, den Konsum von Kuhmilch empfiehlt das BfR aber vorerst
uneingeschränkt. Das dürfte viele Menschen beruhigen, denn bis heute
stehen Milchprodukte ganz oben auf dem Einkaufszettel der Deutschen:
Im vergangenen Jahr lag der Pro-Kopf-Verbrauch von
Frischmilcherzeugnissen laut vorläufigen Zahlen des
Milchindustrie-Verbands bei gut 88 Kilogramm. Außerdem kaufte jeder
von uns durchschnittlich 24 Kilo Käse und knapp 6 Kilo Butter.

Eine andere Theorie zum Zusammenhang von Milch und Krebsentwicklung
vertritt der Hautarzt Bodo Melnik, der unter anderem als Professor an
der Universität Osnabrück lehrt. Seine Forschung konzentriert sich
auf die in Milch enthaltenen Mikro-Ribonukleinsäuren (miRNS). Melnik
geht davon aus, dass diese Säuren beim Konsum von Milchprodukten wie
ein Virus auf den menschlichen Körper übertragen werden - und hier
Schaden anrichten, indem sie die Aktivität der Gene beeinflussen. Der
wachstumsfördernde Effekt von miRNS könne die Entstehung von
bösartigen Tumoren begünstigen. Und Melnik warnt: «Der Verbraucher
ist derzeit der genmanipulierenden Wirkung der miRNA des Rindes
schutzlos und unbewusst ausgeliefert.»

Diese Sichtweise ist in der Wissenschaft allerdings hoch umstritten.
So geht das BfR bislang davon aus, «dass Auswirkungen von mit der
Milch aufgenommenen miRNAs auf die menschliche Gesundheit als sehr
unwahrscheinlich einzuschätzen sind.» Das Bundesinstitut verweist
unter anderem darauf, dass die Säuren im menschlichen Körper abgebaut
werden können. «Die bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnisse
liefern keinen Grund, der Allgemeinbevölkerung vom Konsum von Milch
und Milchprodukten in den empfohlenen und in Deutschland üblichen
Verzehrmengen abzuraten», teilte ein Sprecher mit.

Die Thesen zu einer krebserregenden oder krebsfördernden Wirkung
einzelner Milchbestandteile stehen also noch auf mehr als unsicheren
Beinen. Weitere Forschung ist nach Einschätzung aller Experten
dringend notwendig, um die Datenlage zu verbessern und zuverlässige
Ergebnisse zu erzielen.