Studie: Fertiggerichte verleiten zum Zugreifen und machen dick Von Alice Lanzke, dpa

Fertiggerichte schmecken vielen Menschen. Und ein Experiment zeigt:
Man isst einfach mehr davon als von unverarbeiteter Nahrung. Die
Forscher geben auch mögliche Erklärungen, warum das so ist.

Bethesda (dpa) - Tiefkühl-Pizza, abgepacktes Brot oder Schokolade:
Stark verarbeitete Lebensmittel sind in den vergangenen Jahren auch
in Deutschland immer beliebter geworden, mittlerweile machen sie fast
die Hälfte der verzehrten Nahrung aus. Gleichzeitig steigt die Zahl
der Übergewichtigen, jeder zweite Erwachsene gilt hierzulande als zu
dick. Eine aktuelle Studie legt nun einen Zusammenhang zwischen
diesen beiden Trends nahe. So fanden US-Forscher heraus, dass
Fertiggerichte, Chips und Co. Menschen dazu verleiten, mehr zu essen
und somit zuzunehmen.

Schon länger stehen stark verarbeitete Nahrungsmittel im Verdacht,
gesundheitsschädlich zu sein: Eine Studie von 2018 brachte einige
davon mit einem erhöhten Krebsrisiko in Verbindung, erst vor kurzem
berichteten Forscher gar von einem höheren Risiko, frühzeitig zu
sterben. Dennoch wird gerne zu derartigen Lebensmitteln gegriffen, zu
denen etwa Fertiggerichte, Chips, Wurst, behandeltes Fleisch, aber
auch Milch- und Fruchtgetränke gehören: Sie sind praktisch und
schmecken vielen Menschen. Häufig enthalten sie allerdings auch mehr
Kalorien, Salz und Zucker sowie Fett.

Dass veränderte Essvorlieben etwas mit der steigenden Zahl von
Übergewichtigen zu tun haben könnten, scheint auf der Hand zu liegen.
US-Forscher um Kevin Hall vom National Institute of Diabetes and
Digestive and Kidney Diseases wollten das nun überprüfen. Wie sie im
Fachblatt «Cell Metabolism» berichten, wurden 20 gesunde Freiwillige
ausgewählt, die einen Monat lang im Labor lebten. Dort wurden sie in
zwei Gruppen eingeteilt: Die eine Gruppe bekam jeden Tag drei
Mahlzeiten plus Snacks, die aus hoch-prozessierten Lebensmitteln
bestanden. Zum Frühstück gab es unter anderem eine Portion
Honig-Nuss-Getreideprodukte und einen Fertig-Blaubeermuffin.

Die andere Gruppe erhielt genauso viele Mahlzeiten, allerdings mit
unverarbeiteten Lebensmitteln. Hier bestand das Frühstück etwa aus
Joghurt mit Obst und Nüssen. Beiden Gruppen wurden jeden Tag die
gleichen Mengen an Kalorien sowie Kohlenhydraten, Fetten, Zucker und
Salz angeboten, nach zwei Wochen wurde getauscht. Über den ganzen
Zeitraum konnten die Probanden so viel essen, wie sie wollten.
Das Ergebnis: Nach den zwei Wochen mit stark verarbeiteten
Lebensmitteln nahmen die Teilnehmer im Durchschnitt ein knappes
Kilogramm zu, bei den nicht verarbeiteten Lebensmitteln nahmen sie im
gleichen Maß ab. Ähnlich verhielt es sich mit dem Körperfett-Anteil.


Die Probanden nahmen bei den hoch-prozessierten Lebensmitteln
durchschnittlich 508 Kilokalorien pro Tag mehr auf. «Tatsächlich aßen

sie bei dieser Ernährungsweise mehr Kalorien, was zu einer Zunahme an
Gewicht und Körperfett führte», sagte Studienleiter Kevin Hall. Der
Geschmack war dafür kein Grund: Beide Ernährungsweisen schmeckten den
Teilnehmern gleich gut.

Die Wissenschaftler haben verschiedene Vermutungen zu den Ursachen.
So aßen die Teilnehmer die hoch verarbeiteten Lebensmittel schneller.
«Wenn man sehr schnell isst, gibt man seinem Magen-Darm-Trakt
möglicherweise nicht genügend Zeit, um dem Gehirn zu signalisieren,
dass man voll ist», erläutert Hall. «In diesem Fall könnte man leic
ht
zu viel essen.»

Dazu ergänzt Marc Tittgemeyer vom Kölner Max-Planck-Institut für
Stoffwechselforschung: «Der Mensch misst den Kaloriengehalt eines
Essens zunächst durch sensorische Wahrnehmung. Das heißt: Geschmack,
Geruch und Aussehen geben uns einen ersten Eindruck über den
Kaloriengehalt unserer Nahrung.» Bei Fertigprodukten gebe es hier
eine Diskrepanz, «weil dabei mehr Kalorien im Essen sind als wir dem
beimessen», so Tittgemeyer in einer unabhängigen Einordnung der
Studie. Zudem lasse sich dieses Essen im Regelfall besser aufnehmen
und sei sehr schmackhaft, so dass das Belohnungssystem des Körpers
die Regulierung des Bedarfs überschreibe.

Eine weitere mögliche Ursache nennt das Autorenteam: Bei der stark
verarbeiteten Ernährung standen auch Getränke mit zugesetzten Stoffen
wie bestimmte Säfte und Limonaden auf dem Plan. Flüssigkeiten könnten

aber zu einem anderen Sättigungsgefühl führen, so dass die Teilnehmer

insgesamt mehr Kalorien aufnähmen.

Für Stefan Kabisch vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung hat

die Studie bei aller Sorgfalt im Untersuchungsdesign doch Schwächen:
«Durch die kleine Zahl an Probanden, die zudem normalgewichtig und
kerngesund waren, lassen sich viele typische Langzeitfolgen von
ungesunder Ernährung, wie Insulinresistenz, Fettleber und ähnliches,
weder statistisch noch methodisch abbilden.» Für verlässlichere
Aussagen bräuchte es mehrere Hundert Teilnehmer. Auch für Tittgemeyer
deutet die Studie lediglich eine Korrelation an, anstatt Aussagen
über kausale Zusammenhänge zuzulassen.

Auf eine weitere Einschränkung weisen die Studienautoren selbst hin:
Da das gesamte Essen für die Teilnehmer zubereitet wurde, wurde Hall
zufolge nicht berücksichtigt, wie bequem es zuzubereiten war oder wie
viel es kostete. Frische Lebensmittel seien häufig teurer, so dass
auch sozioökonomische Faktoren bei Empfehlungen oder Regulationen
berücksichtigt werden sollten.

Auch Kabisch betont, dass Fertiglebensmittel oft preisgünstiger
seien: «Der Markt wird das allein nicht regeln, politische Maßnahmen
sind notwendig», so der Mediziner. «Die Besteuerung von Zucker, Fett,
Salz et cetera kann einen Beitrag leisten, läuft aber auch Gefahr,
gesunde Lebensmittel - Pflanzenöl, Obst und ähnliches - zu
brandmarken.» Er empfiehlt eine flächendeckende gesundheitliche
Aufklärung zu gesunder Ernährung. «Die Epidemie der Adipositas und
des Diabetes erklärt sich zum Teil durch energiereiche
Fertiglebensmittel, aber auch durch Bewegungsmangel,
Begleiterkrankungen und durch soziale Faktoren.»