Gericht plant Prozess zum Missbrauchsfall Lügde ab 27. Juni

Der jahrelange und massenhafte Kindesmissbrauch in Lügde soll Ende
Juni ein Fall für die Gerichte werden. Unterdessen fordern mehrere
Organisationen weitergehende Konsequenzen.

Detmold (dpa) - Der Prozess um den massenhaften Kindesmissbrauch auf
einem Campingplatz in Lügde soll nach Planung des Landgerichts
Detmold am 27. Juni beginnen. Voraussetzung sei, dass die Anklage
gegen einen dritten Verdächtigen noch rechtzeitig eintreffe und alle
Anklagen zugelassen werden, sagte ein Gerichtssprecher am Samstag auf
Anfrage. Das «Westfalen-Blatt» hatte zuerst über den Termin
berichtet. Mehrere Organisationen forderten unterdessen weitergehende
Konsequenzen aus dem Missbrauchsfall.

Das Versagen staatlicher Institutionen habe erneut unvorstellbares
Leid zahlreicher Kinder ermöglicht, kritisierte der Deutsche
Kinderverein in Essen. Dies müsse kritisch und unabhängig
aufgearbeitet werden. Dazu sollte eine Enquete-Kommission in NRW und
Niedersachsen eingesetzt werden, die das Vorgehen der Behörden in
Lügde und Hameln aufarbeite.

Außerdem sollte ein unabhängiger Kinderschutz-Beauftragter zur
Anlaufstelle für Beschwerden und sogenannte Whistleblower werden. Er
sollte der Landesregierung Hinweise geben, wie der Kinderschutz
grundlegend verbessert und das Dunkelfeld minimiert werden kann. Es
stelle sich auch die Frage nach einer Fachaufsicht für die
Jugendämter.

Jugendmediziner forderten in Lünen ebenfalls einen besseren Schutz
für Kinder vor Gewalt. Erschütternde Fälle wie der jahrelange
Missbrauch in Lügde zeigten, wie wichtig die enge Zusammenarbeit von
Medizinern, Jugendämtern und Strafverfolgungsbehörden sei. Das
multiprofessionelle Zusammenwirken müsse besser werden, forderte
Bernd Herrmann, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für
Kinderschutz in der Medizin.

Der Arzt sei Anwalt der Kinder und wichtiger Akteur im Kampf gegen
Missbrauch, aber zugleich auf ein funktionierendes Netz angewiesen.
In NRW wurden 2018 laut Landeskriminalamt 2422 Fälle von sexuellem
Kindesmissbrauch bekannt.

Die bereits vor einigen Tagen beim Gericht eingegangene Anklage wirft
dem 56-jährigen Hauptverdächtigen im Fall Lügde 293 Straftaten vor.
Demnach soll sich der Mann unter anderem wegen sexuellen Missbrauchs
von Schutzbefohlenen, schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern
sowie des Besitzes von Kinderpornografie verantworten.

Die Anklageschrift führt 22 Opfer auf, die zum Zeitpunkt der Taten
alle minderjährig gewesen seien. Sein mutmaßlicher Komplize (49) aus
Stade solle im Besitz von fast 43 000 Bild- und Videodateien mit
Kinder- und Jugendpornografie gewesen sein. Außer den beiden
Angeklagten sitzt noch ein 34-Jähriger in Untersuchungshaft, der noch
angeklagt werden soll. Gegen weitere fünf Personen wird noch
ermittelt.